Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
VORWORT
Krebs ist die Krankheit, vor der wir uns am meisten fürchten. Aus Angst vor der Diagnose »Krebs« lassen wir wertvolle Zeit verstreichen, statt uns regelmäßig untersuchen zu lassen. Selbst umsichtige und couragierte Menschen neigen dazu, und nicht wenige zahlen für diese Nachlässigkeit mit elendem Sterben. Bekannte und Freunde habe ich dadurch verloren. Ihr Tod bekümmerte mich umso mehr, wenn ich hörte, dass sie noch leben könnten, wenn sie rechtzeitig zum Arzt gegangen wären. Dabei war ich keinen Deut besser.
Gerettet hat mich Ronald Reagan. Der amerikanische Präsident erkrankte an Darmkrebs. Damals war ich Korrespondent in Washington. Nach geglückter Operation ermahnte Reagan seine Landsleute, sich nicht vor frühzeitiger Untersuchung zu drücken. Daraufhin rannte halb Amerika los. Ich auch. Bei der Darmspiegelung wurde eine Reihe von Tumoren entdeckt. Noch waren sie gutartig. Die rechtzeitige Entfernung hat mich vor Schlimmem bewahrt.
Seitdem weiß ich, verdrängen hilft nicht. Wer sich gegen den Krebs wappnen will, darf nicht in der Defensive bleiben, sondern muss offensiv Aufklärung und Information suchen. Die Deutsche Krebshilfe bietet zu dem komplexen Thema viele hilfreiche Schriften und auch mündlichen Rat an. Doch es gibt weit mehr. Jedes Jahr erscheinen Abertausende von Fachveröffentlichungen. Erstklassige Werke von renommierten Medizinern und Forschern sind auf dem Markt. Aber alle werden von einem Buch in den Schatten gestellt: von Siddhartha Mukherjees Der König aller Krankheiten: Krebs – eine Biografie .
Warum komme ich zu diesem schwärmerischen Urteil? Ganz einfach. Dieses Buch ist brillant geschrieben, und es offenbart eine enorme medizinisch-wissenschaftliche, historische und kulturelle Wissensfülle, die Vertrauen schafft. Angesichts der tiefen Bildung, die das Buch von der ersten bis zur letzten Seite durchzieht, wähnte ich den Autor im reifen Alter. Zu meiner Überraschung entdeckte ich, dass Siddhartha Mukherjee knapp 40 Jahre alt war, als er sein großes Werk vollendete. Als es unter dem Titel The Emperor of All Maladies: A Biography of Cancer Ende 2010 in den USA erschien, fand es sofort große Beachtung. Von mehreren Institutionen, darunter der New York Times – sie ist immer noch die beste Zeitung der Welt –, wurde es als eines der zehn herausragendsten Bücher des Jahres ausgezeichnet.
Im Frühjahr 2011 folgte der Pulitzer-Preis. Dass ein Krebsforscher und Onkologe auf Anhieb in die Sphären von Reporterlegenden vorstößt, finde ich unverhohlen mehr als erstaunlich. In Indien geboren, hat Siddhartha Mukherjee an Universitäten wie Harvard und Stanford eine exzellente Spezial- und Allgemeinausbildung erhalten. Sein gegenwärtiger Arbeitsplatz am Columbia University Medical Center in New York ist ebenfalls eine erstklassige Adresse. Angesichts dieser Voraussetzungen kommen der elegante Schreibstil (von Barbara Schaden mit viel Sprachgefühl ins Deutsche übertragen!) und die inhaltliche Substanz nicht von ungefähr.
Als ich die amerikanische Ausgabe zum ersten Mal in den Händen hielt, glaubte ich mich als Laie überfordert, die Lesetour durch die 570 Seiten zu wagen. Doch die ersten Zeilen belehrten mich eines Besseren. Dieses Buch ist für jedermann geschrieben – insbesondere für Patienten, aber auch für Ärzte und Wissenschaftler. Für uns Journalisten ist es eine wahre Fundgrube. Als mir der Verlag die deutsche Übersetzung mailte, bin ich gleich die ganze Nacht drangeblieben.
In gekonnter Reportermanier führt uns Siddhartha Mukherjee durch die Geschichte des Krebses. Ich hatte Krebs für eine »moderne Krankheit« gehalten. Weit gefehlt! Wie aus einer ramponierten, von einem amerikanischen Antikenhändler erworbenen Papyrusrolle hervorgeht, wurde die Krankheit bereits Mitte des dritten Jahrtausends vor Christi Geburt vom ägyptischen Arzt Imhotep beschrieben, und zwar als unheilbar. So geht es durch die Jahrhunderte. Mit verblüffenden Erkenntnissen!
Der Autor schlägt einen großen Bogen über den seit 4500 Jahren dauernden Kampf gegen den Krebs. Im Mittelpunkt stehen dabei – das macht das Buch so spannend – Geschichten von Ärzten und Forschern, aber vor allem auch Schicksale von Patienten, von der Vorschullehrerin Carla Reed bis hin zur Psychologin Germaine Berne: »Die Geschichte des Krebses ist nicht die Geschichte von Ärzten«, schreibt Mukherjee, »sie ist die Geschichte der Patienten, die kämpfen und überleben und von einem
Weitere Kostenlose Bücher