Idol
eine unschuldige junge Frau umgebracht hatte, die er haßte, weil sie nicht von edler Geburt war.
Aber was will das Wort »edel« in bezug auf ein Subjekt von so niederer Gesinnung wie Graf Lodovico schon besagen?
Wenngleich im Falle des Grafen die Justiz »ihres Amtes gewaltet« hat, bleibt doch zu bedauern, daß sie es nicht getan hat
im Hinblick auf den Fürsten Virginio, der nachweislich Komplize |466| und Anstifter des Mordes gewesen ist, dessen Ausführung Lodovico in seinem Schreiben vermeldete. Selbst wenn die Serenissima
sich zu dem lobenswerten Entschluß durchgerungen hätte, den jungen Fürsten (er war damals erst sechzehn Jahre alt) vor ein
venezianisches Gericht zu laden, wäre es dennoch fraglich geblieben, ob sie dazu die Macht gehabt hätte, denn Virginio residierte
in einem souveränen Staat und war der Neffe des Großherzogs von Toskana.
Was unmittelbar nach dem Tode der Herzogin geschah, gibt dem aufmerksamen Beobachter nicht weniger Grund zur Verwunderung.
Am Morgen nach dem Massaker im Palazzo Cavalli wurde Vittorias nackter Leichnam in der Kirche der
Eremitani
ausgestellt. Das Volk strömte herbei, ihn zu bestaunen. Es vergoß Tränen ob Vittorias Jugend und Schönheit und im Gedenken
an ihre Güte und Frömmigkeit. Wie Augenzeugen berichten, knirschten manche Leute vor Zorn mit den Zähnen. Alle schrien nach
Rache. Der Ansturm war so groß, daß Sbirren herbeigeholt werden mußten, den Menschenstrom zu ordnen, der an der toten Herzogin
vorbeizog, denn ein jeder wollte sie betrachten, sie bewundern, sie beweinen, und alle jammerten, Padua habe die schönste
Frau Italiens verloren.
Entrüstet über diesen heidnischen Kult, versuchte der Pfarrer der
Eremitani
gegen elf Uhr, mit einem bestickten schwarzen Tuch die Blöße der Herzogin zu bedecken. Das Volk riß es ihm aus den Händen;
es fehlte nicht viel, und man hätte ihn als ruchlosen Schänder beschimpft. Es kam zu einer lebhaften Auseinandersetzung zwischen
dem Pfarrer und den Anhängern des neuen Kults; die Sbirren griffen ein und erzwangen einen Kompromiß: die Tote wurde nicht
zugedeckt, aber um der Schicklichkeit willen mit ihrem langen Haar verhüllt. Und den Vorbeidefilierenden wurde ausdrücklich
verboten, Strähnen ihres Haares heimlich abzuschneiden, wie es bereits geschehen war.
Da sich herumsprach, daß die Herzogin mit ihrem letzten Atemzug dem Mörder vergeben hatte, wurde sie fortan wie eine Heilige
verehrt. Der Heiligenkult ersetzte nicht den Kult um ihre Schönheit, sondern verstärkte ihn nur noch. Nachdem eine Frau vor
der Toten das Knie gebeugt, sich bekreuzigt und ihr die Füße geküßt hatte, folgten alle anderen diesem Beispiel.
|467| Der arme Pfarrer war verzweifelt, wagte aber nicht, der fanatischen Menge entgegenzutreten; er kam zu mir und flehte mich
unter Tränen an, diesem Ärgernis ein Ende zu setzen.
Ich begab mich in die Kirche und stellte fest, daß die Herzogin in der Tat Gegenstand einer halb heidnischen, halb christlichen
kultischen Verehrung geworden war.
Auf den ersten Blick hatte ich erfaßt, daß es nicht geraten schien, an dem Leichnam vorbeizuziehen, ohne das Knie zu beugen
und seine Füße zu küssen. Einerseits wollte ich mich diesem Ritual nicht unterziehen, andererseits nicht den Volkszorn auf
mich lenken, weswegen ich mich hütete, näher heranzutreten. So beschloß ich, die Nacht abzuwarten, um unter dem Vorwand, ihn
einbalsamieren zu lassen, den Leichnam zu entfernen.
Ich ließ ihn geziemend bestatten, doch nach wenigen Tagen kam es zu einer neuen Komplikation. Tarquinia Accoramboni, die Mutter
des Opfers, bat mich in einem Brief um die Genehmigung, den Leichnam ihrer Tochter nach Rom zu überführen. Trotz meiner Vorsichtsmaßnahmen,
diesen Brief geheimzuhalten, sickerten Gerüchte über ihn durch. Die Menschen strömten in Massen vor dem Stadthaus zusammen
und bekundeten in heftigen Worten ihre Entschlossenheit, die Grabstätte der Herzogin in Padua zu bewahren.
Ich beruhigte die Menge, zitterte aber bei dem Gedanken, Sixtus V. könnte die Demarche von Signora Accoramboni unterstützen.
In diesem Fall hätte ich die Angelegenheit Venedig übertragen müssen und keinen Einfluß mehr auf die Entscheidung gehabt.
Zum Glück griff der Papst nicht ein, und dank der Unterstützung von Marcello Accoramboni, der sich nun, da er zum Weiterleben
entschlossen war, in unserer Stadt niederlassen wollte, konnte ich den Antrag seiner Mutter
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