Idol
auf unsere »Bellissima«.
So hatten wir sie in Gubbio genannt, und der Beiname »bel lissima « blieb mit ihrem Namen ebenso untrennbar verbunden wie »serenissima« mit der Republik Venedig.
Vittorias Haar wurde jede Woche dienstags und samstags gewaschen. Dieser Ritus brachte unsere gesamte Dienerschaft auf die
Beine. Die Männer mußten ein großes Feuer unterhalten, eimerweise warmes Wasser heranschleppen und einen hölzernen Badezuber
füllen, dann mittels eines an der Unterseite angebrachten Hahnes das Schmutzwasser ablaufen lassen, den Zuber erneut mit frischem
Wasser füllen und so fort; die Dienerinnen hatten mit der nötigen Sorgfalt die ganze unendliche Haarfülle zu seifen. Vittoria
selbst saß außerhalb des Zubers auf einem Schemel, den Kopf nach hinten geneigt, den Nacken auf ein kleines Kissen gestützt,
mit dem die Holzkante abgepolstert war; nur ihr Haar tauchte in seiner ganzen Länge ins Wasser, während sie die Sonette von
Petrarca las, manchmal auch laut.
Dies tat sie, vermute ich, einesteils, um nicht von dem Geschnatter der sämtlich um sie versammelten Frauen des Hauses betäubt
zu werden, andernteils aber auch, weil sie die Dichtkunst |19| über alles liebte, denn sie war mit Büchern groß geworden, hatte Tarquinia doch darauf gehalten, ihr die Erziehung einer Königin
zuteil werden zu lassen.
Mit Handtüchern allein war eine so lange, üppige Mähne nicht zu trocknen; man brauchte dazu das Kaminfeuer oder, wenn das
Wetter es erlaubte, die Sonne, die zudem noch den Vorteil hatte, wie Tarquinia sagte, das Blond aufzufrischen. Nicht ohne
einen gewissen Pomp wurde Vittoria zu einem Sitz auf einer nach Süden gelegenen Terrasse geführt, während des Umzugs hielten
zwei Dienerinnen das Haar, damit es nicht den Boden berühre, und breiteten es dann auf einem speziell dafür gebauten Gitterrost
aus, in langen Docken goldener Seide, wie köstliche Früchte zum Nachreifen.
Diese Zeremonie war in Gubbio bekannt, und da sie am zeitigen Nachmittag stattfand, wurde das Haus von Onkel Bernardo an den
genannten Tagen zum Ausflugsziel für Müßiggänger, die einen Blick auf Vittorias Haar zu erhaschen hofften, wie es das Gold
der Sonne einfing.
In Rom wurde der Ritus fortgesetzt, nachdem wir uns im Palazzo Rusticucci eingerichtet hatten. Doch da Tarquinia nun auf eine
gewisse Etikette sehen wollte, fand er nicht mehr wie in unserer Kleinstadt öffentlich statt, sondern fern den neugierigen
Blicken im Innenhof des Palazzo.
Die Strategie der offenen Tafel, die Tarquinia seit ihrer Ankunft in Rom mit großem Kostenaufwand verfolgte, brachte nicht
das erhoffte Ergebnis. Viele Edelleute, junge und alte, schöne und häßliche, gingen im Palazzo Rusticucci aus und ein, aber
sosehr sie von Vittoria auch eingenommen waren, das geringe Vermögen ihres Vaters schreckte sie ab. Es mag ja noch angehen,
die Tochter eines Kaufmanns zu ehelichen und in eine Familie ohne Verbindungen einzuheiraten, aber dann müßte dieser Kaufmann
wenigstens reich sein! Onkel Bernardo aber hatte nichts als Schulden, und seine Schulden warfen einen Schatten auf die strahlende
Schönheit Vittorias. Außerdem war das Mädchen stolz und klug und konnte dumme Menschen schwer ertragen. Sie hätte mehr gefallen,
wenn sie nur mäßig intelligent und weniger stolz gewesen wäre.
Seit zwei Jahren stellte Tarquinia ihre Tochter nun schon zur Schau, doch hatte sie trotz all der Bewerber oder vorgeblichen
Bewerber, die – zahlreicher als Fliegen einen Honigtropfen – |20| Vittoria umschwärmten, bisher kein Angebot erhalten. Einer der Bewerber, der unscheinbarste von allen, hatte allerdings ein
paar schüchterne Andeutungen gemacht. Aber Tarquinia hatte ihn, ohne ihn richtig abzuweisen, kaum ermutigt, das unredliche
Argument vorschiebend, ihre gerade erst sechzehnjährige Tochter sei für eine Heirat noch recht jung. Obwohl Francesco Peretti
der Neffe eines Kardinals war, fand die Superba seinen Adel zu gering und sein Vermögen nicht ausreichend. Zu Beginn ihres
Aufenthaltes in Rom hätte es schon ein Fürst sein müssen, um sie zufriedenzustellen. Seit kurzem aber schien ihr auch ein
Marchese oder Graf zu genügen. Nichtsdestoweniger meinte sie, Perettis Antrag sei ein wenig komisch und unüberlegt, und sie
hielt sich etwas darauf zugute, daß sie ihn nicht einfach kurz abgefertigt, sondern auf seine halbe Anfrage diplomatisch mit
einer halben Ablehnung geantwortet hatte.
Am
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