Jäger des verlorenen Schatzes
Südamerika 1936
Der Urwald war dunkel und grün, geheimnisvoll, bedrohlich. Das wenige an Sonnenlicht, das die hohen Schranken des Geästs und wirr verschlungener Ranken durchdrang, war blaß, von milchiger Farbe. Die lastende, klebrige Luft troff vor Feuchtigkeit. Vögel kreischten gellend, als hätte man sie plötzlich mit riesigen Netzen eingefangen. Glitzernde Insekten huschten am Boden im Laub schnatterten und quiekten Tiere. In seinem unberührten Zustand hätte der Urwald unerforschtes Gebiet sein können, ein Fleck, für den es keine Landkarten gab, den niemand durchstreift hatte - das Ende der Welt.
Acht Männer zogen langsam auf einem schmalen Pfad dahin, blieben ab und zu stehen, um eine herabhängende Ranke oder einen Ast abzuhacken, der den Weg versperrte. An der Spitze der Kolonne befand sich ein hochgewachsener Mann, der Lederjacke und Filzhut trug. Hinter ihm kamen zwei Peruaner, die argwöhnisch in den Dschungel starrten, und fünf unruhige Quechua-Indianer; diese plagten sich mit den beiden Maultieren ab, die Rucksäcke und Vorräte schleppten.
Der Mann, der die Gruppe führte, hieß Indiana Jones. Er war muskulös auf eine Weise, wie man sie bei einem Athleten vermutet hätte, der über seine beste Zeit noch nicht ganz hinaus war. Seine schmutzigblonden Bartstoppeln waren seit einigen Tagen nicht rasiert worden, dunkle Streifen von Schweiß zeichneten ein Gesicht, das einmal auf gefällige, photogene Art gutaussehend gewesen sein mochte. Nun umgaben jedoch kleine Fältchen die Augen, Furchen zogen sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln, und die fast sanften, regelmäßigen Züge gewannen dadurch etwas Charaktervolles und Markantes. Es war, als hätten seine Erfahrungen mit der Zeit sein Aussehen gezeichnet.
Indy Jones legte nicht die Vorsicht an den Tag, mit der sich die beiden Peruaner bewegten - sein sicheres Auftreten erweckte den Eindruck, als seien nicht sie hier zu Hause, sondern er. Trotzdem beeinträchtigte das forsche Auftreten sein Gefühl der Wachsamkeit nicht. Er kannte sich gut genug aus, um von Zeit zu Zeit beinahe unmerklich nach links und rechts zu blicken, stets darauf gefaßt, daß der Urwald eine Drohung, eine Gefahr erkennen ließ. Der plötzliche Ruck eines Astes oder das Knacken von verfaulendem Holz - das waren die Signale, die Gradpunkte auf seinem Gefahrenkompaß. Manchmal blieb er stehen, nahm den Hut ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn und überlegte sich, was ihn mehr störte - die schwüle Feuchtigkeit oder die Unruhe der Quechuas. Immer wieder redeten sie in Ausbrüchen ihrer fremden Sprache aufgeregt miteinander, einer Sprache, die Indy an die Laute der Urwaldvögel erinnerte, jener Geschöpfe der undurchdringlichen Vegetation, der wabernden Dünste.
Er schaute sich nach den beiden Peruanern um, nach Barranca und Satipo, und erkannte, wie wenig er ihnen in Wahrheit traute - und trotzdem mußte er sich auf sie verlassen, um aus diesem Urwald das zu holen, was er haben wollte.
Was für ein Haufen, dachte er. Zwei verschlagene Peruaner, fünf Indianer in Todesangst, und dazu zwei störrische Maultiere. Und ich bin ihr Anführer. Mit einem Pfadfindertrupp wäre ich besser dran gewesen.
Indy drehte sich nach Barranca um und fragte, obwohl er die Antwort zu kennen glaubte: »Worüber reden die Indianer?«
Barranca wirkte gereizt.
»Worüber reden die schon, Señor Jones? Über den Fluch. Immer über den Fluch.«
Indy zog die Schultern hoch und richtete den Blick auf die Indianer. Indy verstand ihre abergläubische Furcht, ihren Glauben, und empfand in gewisser Beziehung sogar mit ihnen. Der Fluch - der uralte Fluch des Tempels der Chachapoya-Krieger. Die Quechuas waren damit aufgewachsen, er war fester Bestandteil ihrer Weltsicht.
»Sagen Sie ihnen, sie sollen still sein, Barranca«, erklärte er. »Machen Sie ihnen klar, daß ihnen nichts zustoßen wird.« Die Salbe des Wortes. Er kam sich vor wie ein Quacksalber, der von einem unerprobten Serum eine Dosis zu verabreichen hat. Woher, zum Teufel, wollte er wissen, daß ihnen nichts zustoßen würde?
Barranca sah Indy kurz an, dann sprach er mit scharfer Stimme auf die Indianer ein, und sie blieben eine Weile stumm - es war ein Schweigen, das unterdrückter Angst entsprang. Wieder konnte Indy ihnen das nachfühlen:
Vage Trostesworte waren nicht in der Lage, Jahrhunderte des Aberglaubens ungeschehen zu machen. Er setzte den Hut wieder auf und schritt langsam auf dem Pfad weiter, eingehüllt von
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