Das Erbe des Alchimisten
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Band 74 020
Erste Auflage: August 1998
© Copyright 1989 by Christopher Pike Original English language edition published by Pocket Books, New York
This edition published by arrangement with Ashley Grayson Literary Agency All rights reserved
Deutsche Lizenzausgabe 1998 by Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach Originaltitel: Phantom Titelbild: Jan Balaz
Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: Textverarbeitung Garbe, Köln Druck und Verarbeitung: Ebner, Ulm Printed in Germany
ISBN 3-404-74020-3
1.
Kapitel
Jemand klopft an die Tür meines Hauses in Las Vegas, in dem ich mich gerade befinde. Es ist später Abend, das Wohnzimmer ist schwach erleuchtet, an den Wänden tanzen Schatten. Ich weiß nicht, wer derjenige ist, der da etwas von mir will. Aus genau demselben Grund weiß ich auch nicht, wer ich bin. Ich bin gerade aus dem Experiment eines Alchimisten erwacht – eines toten Alchimisten. Ich fühle mich benommen, und meine Nerven sind gleichzeitig angespannt. Bevor ich an dem Experiment teilgenommen habe, also vor nur wenigen Stunden, war ich ein Vampir mit eisernem Willen. Der letzte Vampir auf dieser Welt. Nun fürchte – und hoffe – ich, daß ich wieder menschlich geworden bin. Daß ich eine junge Frau namens Alisa bin, die demütige Nachfahrin des fünftausend Jahre alten Monsters Sita.
Die Person klopft noch einmal.
»Öffne die Tür«, fordert der Mann ungeduldig. »Ich bin’s.«
Wer – ich? frage ich mich. Obwohl die Stimme mir irgendwie bekannt
vorkommt, weiß ich nicht, zu wem sie gehört. Ich zögere, antworte nicht einmal. Von denjenigen Lebewesen, die ich Freunde nenne, kann eigentlich nur Seymour Dorsten wissen, daß ich mich hier in Las Vegas aufhalte. Ein Teil meiner anderen Freunde sind kürzlich bei einer Atombombenexplosion in der Wüste Nevadas von der Bildfläche verschwunden. Tatsächlich hat sich in den letzten Tagen viel ereignet, und für das meiste davon bin ich verantwortlich.
»Sita«, sagt derjenige, der draußen steht, »ich weiß, daß du da drin bist.«
Merkwürdig! schießt es mir durch den Kopf. Er kennt den Namen, den ich von altersher trage. Aber warum sagt er mir nicht, wer er ist? Ich könnte ihn fragen, aber irgendein Gefühl hindert mich daran. Es ist eine Empfindung, die mir trotz meines fünftausend Jahre langen Lebens eher unbekannt erscheint.
Angst. Ich starre auf meine Hände.
Ich zittere vor Angst. Sollte ich tatsächlich menschlich geworden sein, so bin ich vollkommen schutzlos, das ist mir bewußt. Das ist auch der Grund dafür, warum ich die Tür nicht öffnen möchte. Ich will nicht sterben, bevor ich Gelegenheit hatte, das Leben der Sterblichen kennenzulernen. Bevor ich die Möglichkeit hatte, ein Kind zu bekommen. Letzteres ist vermutlich der Hauptgrund dafür, warum ich Arturos Alchimistenwerkzeuge benutzt habe, mein Dasein als Vampir zu beenden: Ich möchte Mutter werden. Doch noch bin ich nicht hundertprozentig sicher, daß das Experiment erfolgreich verlaufen ist. Mit den Nägeln der rechten Hand fahre ich fest über die Innenfläche der linken. Die Haut reißt ein, Blut tritt aus. Ich starre es an.
Die Wunde heilt nicht mehr unverzüglich.
Ich muß also menschlich sein! Krishna, Herr, rette mich!
Das Klopfen hört auf. Der Mann draußen tritt einen Schritt von der Tür zurück. Ich höre seine Bewegungen, selbst mit meinem nur noch mittelmäßigen, weil menschlichen Gehör. Er scheint leise in sich hineinzulachen.
»Ich verstehe dich, Sita«, sagt er. »Es ist in Ordnung. Ich werde bald wiederkommen.«
Dann höre ich, wie er davongeht. Erst jetzt fällt mir auf, daß ich im Dunkeln dagestanden und den Atem angehalten habe. Unglaublich erleichtert sinke ich gegen die Tür und versuche, mein heftig klopfendes Herz wieder zu beruhigen. Ich bin gleichzeitig verwirrt und aufgeregt.
»Ich bin tatsächlich menschlich«, flüstere ich vor mich hin.
Tränen rollen über meine Wangen, und ich berühre sie mit meiner Zungenspitze. Sie sind klar und salzig und nicht länger dunkel und blutig. Ein weiteres Zeichen für meine Menschlichkeit. Langsam trete ich zu der Couch und lasse mich darauf nieder. Während ich mich umschaue, fällt mir auf, wie unscharf alles ist, und ich frage mich, ob das Experiment meine Sehkraft geschädigt hat. Aber dann begreife ich, daß ich die Dinge um mich herum mit den Augen eines Menschen sehe, daß ein Mensch offenbar nur so wenig sieht. Ich erkenne nicht einmal mehr
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