Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
Pflaster auf seinem Nasenrücken zu berühren. Ein Fehler. »Kontrainvestigativ? «
»Sie sind ein Quant, Mr Laney.« Ein quantitativer Analytiker. Eigentlich war er keiner, aber so lautete seine offizielle Tätigkeitsbeschreibung. »Bei Slitscan.«
Laney antwortete nicht.
»Das Mädchen wurde intensiv überwacht. Slitscan hat sie keine Minute aus den Augen gelassen. Sie wissen, weshalb. Wir glauben, es ließe sich beweisen, dass Slitscan die Schuld an Alison Shires’ Tod trägt.«
Laney schaute auf seine Laufschuhe hinunter, deren Schnürsenkel von den Wärtern entfernt worden waren. »Sie hat Selbstmord begangen«, sagte er.
»Aber wir wissen, warum.«
»Nein«, sagte Laney und hob den Blick wieder zu den schwarzen Ovalen, »ich nicht. Nicht genau.« Der Knotenpunkt. Protokolle einer völlig anderen Welt.
»Sie werden Hilfe brauchen, Laney. Kann sein, dass Sie wegen Totschlags angeklagt werden. Beihilfe zum Selbstmord. Die werden wissen wollen, warum Sie da oben waren.«
»Dann werd ich’s denen sagen.«
»Unsere Produzenten haben es geschafft, mich als Ersten hier reinzuschleusen, Laney. War nicht einfach. Draußen ist ein PR-Team von Slitscan, das darauf wartet, mit Ihnen zu sprechen. Wenn Sie denen freie Hand geben, drehen die alles um. Die pauken Sie raus, weil sie’s müssen, um die Sendung zu decken. Kein Problem, wenn man genug Geld und die richtigen Anwälte hat. Aber fragen Sie sich mal eins: Wollen Sie das zulassen ?«
Daniels hielt noch immer seine Visitenkarte gegen den Kunststoff. Laney versuchte erneut, sich darauf zu konzentrieren, und sah, dass jemand von der anderen Seite aus etwas ins Plastik gekratzt hatte, in kleinen, unregelmäßigen, spiegelbildlichen Buchstaben, so dass er es von links nach rechts lesen konnte:
ICH WEISS DU WARST ES
»Von Außer Kontrolle hab ich noch nie was gehört.«
»Während wir hier miteinander reden, wird unsere einstündige Pilotsendung produziert, Mr Laney.« Eine wohlüberlegte Pause. »Wir sind alle sehr aufgeregt.«
»Warum?«
» Außer Kontrolle ist nicht nur eine Serie. Für uns ist es ein völlig neues Paradigma. Eine neue Art, Fernsehen zu
machen. Ihre Geschichte – Alison Shires’ Geschichte – ist genau das, was wir dort bringen wollen. Unsere Produzenten sind Leute, die dem Publikum etwas zurückgeben möchten. Sie waren erfolgreich, sie sind etabliert, sie haben sich bewährt; jetzt möchten sie etwas zurückgeben – sie wollen ein gewisses Maß an Ehrlichkeit wiederherstellen, den Menschen eine neue Chance geben, die Dinge in der richtigen Perspektive zu sehen.« Die schwarzen Ovale kamen etwas näher an das zerkratzte Plastik. »Unsere Produzenten sind die von Cops in Schwierigkeiten und Mit Stil und Berechnung .«
»Womit?«
»Tatsachenberichte über vorsätzliche Gewalt in der globalen Modeindustrie.«
»›Kontrainvestigativ‹?« Yamasakis Stift schwebte über dem Notebook.
»Es war eine Sendung über Sendungen wie Slitscan«, erklärte Laney. »Fälle von angeblichem Missbrauch.« An dem vielleicht drei Meter langen Tresen gab es keine Hocker. Man stand. Abgesehen von dem Barmann, der eine Art Kabuki-Fummel trug, hatten sie den Laden für sich allein. Schon deshalb, weil sie ihn praktisch ausfüllten. Es war wahrscheinlich das kleinste frei stehende Geschäftsgebäude, das Laney je gesehen hatte, und es schien schon seit Ewigkeiten dort zu sein, wie ein Überbleibsel aus dem alten Edo, einer Stadt der Schatten und winzigen, dunklen Straßen. Die Wände waren mit verblichenen Postkarten tapeziert, die unter einer Lasur aus abgelagertem Nikotin und Kochdünsten ein einheitliches Sepiabraun angenommen hatten.
»Ah«, sagte Yamasaki schließlich, »ein ›Meta-Boulevard-magazin‹. «
Der Barmann briet zwei Sardinen auf einer Heizplatte im Puppenstubenformat. Er drehte die Sardinen mit zwei stählernen
Essstäbchen um, beförderte sie auf einen winzigen Teller, garnierte sie mit irgendwelchen farblosen, durchsichtigen Pickles und stellte sie Laney hin.
»Danke«, sagte Laney. Der Barmann zog als Verbeugung kurz seine rasierten Augenbrauen zusammen.
Trotz der bescheidenen Einrichtung waren hinter dem Tresen ein paar Dutzend Flaschen teuer aussehender Whiskey arrangiert. Jede trug einen von Hand beschrifteten braunen Papieraufkleber: der Name des Besitzers auf Japanisch. Yamasaki hatte erklärt, dass man eine Flasche kaufte und dass diese dann für ihren Besitzer aufbewahrt wurde. Blackwell war bei seinem zweiten
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