Idoru
Scan?« Er schien sie nicht zu hören. Sie sah zu, wie ihr Handgepäck Maryalices Koffer in die Maschine folgte.
Der Mann mit dem Helm, dessen Augen verborgen waren, bewegte den Kopf hin und her, als er blickaktivierte Menüs aufrief.
»Gepäckschein«, sagte der Polizist, und Chia fiel ein, daß sie ihn in der Hand hielt. Als sie dem Mann das Stück Papier aushändigte, kam es ihr auf einmal merkwürdig vor, daß Maryalice daran gedacht hatte, es ihr zu geben. Der Polizist fuhr mit einem Handscanner darüber.
»Haben Sie diese Gepäckstücke selbst gepackt?« fragte der Mann mit dem Helm. Er konnte sie nicht direkt sehen, aber sie nahm an, daß er sich die in ihrem Paß gespeicherten Clips anschauen konnte, und wahrscheinlich konnte er sie auch über eine Livezuspielung sehen. Flughäfen waren voller Kameras.
»Ja«, sagte Chia, die zu dem Schluß kam, daß das einfacher war, als zu erklären, daß der Koffer Maryalice gehörte und nicht ihr. Sie versuchte, den Ausdruck auf der Mundpartie des Behelmten zu lesen, aber es war schwer zu sagen, ob er überhaupt einen hatte.
»Sie haben das gepackt?«
»Ja …« sagte Chia, und diesmal klang es schon weitaus weniger sicher.
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Der Helm wackelte.
»Der nächste«, sagte der Mann.
Chia ging ans andere Ende der Maschine und nahm sich ihre Tasche und den schwarzen Koffer.
Durch eine weitere Milchglas-Schiebewand: Sie war in einer größeren Halle, unter einer höheren Decke. Die Werbung über ihr war größer, aber hier herrschte das gleiche Gedränge.
Vielleicht lag das nicht so sehr an den Menschenmassen als vielmehr an Tokio, vielleicht an Japan allgemein: mehr Menschen auf engerem Raum.
Weitere Robot-Gepäckwagen. Sie fragte sich, was es kostete, einen zu mieten. Vielleicht konnte man sich auf sein Gepäck legen, ihm sagen, wohin man wollte, und dann einfach einschlafen. Sie wußte nur nicht so recht, ob sie eigentlich müde war. Sie nahm Maryalices Koffer von der linken in die rechte Hand und überlegte, was sie mit ihm machen sollte, wenn sie Maryalice nicht in den nächsten, na, fünf Minuten fand. Sie hatte genug von Flughäfen und dem Raum dazwischen, und sie wußte nicht mal, wo sie heute nacht schlafen sollte. Oder auch nur, ob es überhaupt Nacht war.
Sie schaute nach oben und hoffte, irgendeine Zeitanzeige zu entdecken, als sich eine Hand um ihr rechtes Handgelenk schloß. Sie blickte auf die Hand hinunter, sah goldene Ringe und eine dazu passende Armbanduhr, die dicken Glieder eines goldenen Armbands. Die Ringe waren durch kleine Goldkettchen mit der Uhr verbunden.
»Das ist mein Koffer.«
Chias Augen wanderten vom Handgelenk über ein Stück strahlend weiße Manschette und den Ärmel eines schwarzen Jacketts nach oben. Zu blassen Augen in einem langen Gesicht mit senkrecht gefurchten Wangen, die aussahen, als hätte man sie mit einem Modellierinstrument bearbeitet. Einen Moment lang hielt sie ihn für ihren Music Master, der sich in diesem -77—
Flughafen irgendwie selbständig gemacht hatte. Aber der Music Master würde niemals so eine Uhr tragen, und die Haare dieses Mannes waren dunkelblonder, aus der hohen Stirn nach hinten gekämmt, und sie sahen lang und feucht aus. Er machte keinen fröhlichen Eindruck.
»Das ist Maryalices Koffer«, entgegnete Chia.
»Hat sie ihn dir gegeben? In Seattle?«
»Sie hat mich gebeten, ihn für sie zu tragen.«
»In Seattle?«
»Nein«, sagte Chia. »Hier. Sie hat im Flugzeug neben mir gesessen.«
»Wo ist sie?«
»Ich weiß nicht«, sagte Chia.
Er trug einen schwarzen Anzug mit einem langen Jackett, das bis oben durchgeknöpft war. Wie aus einem alten Film, aber neu und offenbar teuer. Er schien zu bemerken, daß er sie immer noch am Handgelenk festhielt; jetzt ließ er sie los.
»Ich trag ihn für dich«, sagte er. »Wir finden sie schon.«
Chia wußte nicht, was sie tun sollte. »Maryalice wollte, daß ich ihn trage.«
»Hast du ja getan. Jetzt trag ich ihn.« Er nahm ihn ihr ab.
»Sind Sie Maryalices Freund? Eddie?«
Sein Mundwinkel zuckte.
»Könnte man so sagen«, antwortete er.
Eddies Wagen war ein Daihatsu Graceland mit dem Lenkrad auf der falschen Seite. Chia wußte das, weil Rez in einem Video im Fond so eines Wagens gefahren war, nur daß es in dem eine Badewanne aus schwarzem Marmor mit großen, goldenen, wie tropische Fische geformten Wasserhähnen gegeben hatte. Angeblich sollte das eine ironische Anspielung -78—
auf Geld sein, auf die wirklich häßlichen Dinge, die
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