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Idoru

Idoru

Titel: Idoru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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man damit machen konnte, wenn man zuviel davon besaß. Chia hatte ihrer Mutter davon erzählt. Ihre Mutter meinte, es habe nicht viel Sinn, sich Gedanken darüber zu machen, was man damit anfangen würde, wenn man zuviel hätte, weil die meisten Menschen nicht einmal genug hätten. Sie sagte, man solle lieber rauszufinden versuchen, was ›genug‹ eigentlich bedeute.
    Aber Eddie hatte einen, einen Graceland, ganz in Schwarz und Chrom. Von außen sah er aus wie eine Kreuzung zwischen einem Wohnwagen und einer dieser langen, keilförmigen Hummer-Limousinen. Chia konnte sich nicht vorstellen, daß es in Japan allzu viele davon gab; die Wagen hier sahen alle wie kleine bonbonfarbene Pastillen aus. Der Graceland war ein reines, schlichtes Netzkappending, vom Design her für den Amerikaner gedacht, der ausdrücklich keine Importe kaufen wollte. Was die Möglichkeiten eindeutig begrenzte, wenn es um Autos ging. (Hester Chens Mutter hatte einen dieser echt häßlichen kanadischen Pick-ups, die ein Vermögen kosteten, aber fünfundachtzig Jahre Garantie hatten; angeblich war das ökologisch besser.)
    Im Innern des Graceland war alles aus burgunderrotem Velours in gepolsterten Rauten mit kleinen Chromnaben, wo die Spitzen der Rauten sich trafen. Es war so ungefähr das geschmackloseste Teil, das Chia je gesehen hatte, und sie nahm an, daß Maryalice es genauso empfand, denn Maryalice, die neben ihr saß, erklärte, es gehe dabei ums ›Image‹, Eddie besitze da so einen absolut heißen, sehr angesagten Country-Music-Club namens Whiskey Clone, und da habe er den Graceland entsprechend ausgestattet und auch angefangen, sich so zu kleiden wie die Leute damals in Nashville. Maryalice fand, daß ihm dieser Look stand, wie sie sagte.
    Chia nickte. Eddie fuhr und sprach auf Japanisch in ein Lauthörtelefon. Sie hatten Maryalice in einer winzigen Bar entdeckt, direkt außerhalb des Ankunftsbereichs. Es war die -79—
    dritte, in die sie reingeschaut hatten. Chia kam es so vor, als wäre Eddie nicht sehr glücklich darüber, Maryalice zu sehen, aber das schien Maryalice nichts auszumachen.
    Es war Maryalices Idee gewesen, Chia nach Tokio mitzunehmen. Sie meinte, der Zug sei zu voll und eh ziemlich teuer. Außerdem wolle sie Chia gern einen Gefallen tun, weil diese ihr den Koffer getragen habe. (Chia war aufgefallen, daß Eddie einen Koffer in den Kofferraum des Graceland gelegt, den mit dem Nissan-County-Aufkleber jedoch vorn bei sich behalten hatte, neben dem Fahrersitz.)
    Chia hörte Maryalice jetzt nicht mehr zu. Es war Nacht, der Jetlag war zu sonderbar, sie fuhren über eine große Brücke, die nur aus Neonlicht zu bestehen schien, und auf den zahllosen Fahrspuren um sie herum reihten sich die kleinen Wagen wie helle Perlen, alle glänzend und neu. Große, schmale Bildschirme huschten vorbei; auf einigen tanzten Japanische Schriftzeichen, auf anderen waren Menschen zu sehen, Gesichter, die lächelnd irgend etwas verkauften.
    Und dann das Gesicht einer Frau: Rei Toei, die Idoru, die Rez heiraten wollte. Und wieder weg.
    -80-

9
    Außer Kontrolle
    R
    » ice
    Daniels,
    Mr.
    Laney.
    Außer Kontrolle.« Er drückte
    eine Karte gegen die andere Seite der zerkratzten Kunststoffwand, die den ›Besucher‹ genannten Raum von denen trennte, die ihm seinen Namen gaben. Laney hatte sie zu lesen versucht, aber die Anstrengung, sich zu konzentrieren, hatte eine so grauenhafte Nadel aus Schmerz zwischen seine Augen getrieben, daß ihm die Tränen kamen. Durch sie hindurch hatte er statt dessen Rice Daniels angesehen: kurzgeschnittene dunkle Haare, eng sitzende Sonnenbrille mit kleinen ovalen Gläsern, deren schwarzes Gestell den Kopf des Mannes wie eine Wundklammer umfaßte.
    Nichts an Rice Daniels erweckte den Eindruck, daß er außer Kontrolle war.
    »Die Serie«, sagte er. » Außer Kontrolle. Gemeint sind die Medien.
    Außer Kontrolle: die Speerspitze des kontrainvestigativen Journalismus.«
    Laney hatte behutsam versucht, das Pflaster auf seinem Nasenrücken zu berühren. Ein Fehler. »Kontrainvestigativ?«
    »Sie sind ein Quant, Mr.
    Laney.« Ein quantitativer
    Analytiker. Eigentlich war er keiner, aber so lautete seine offizielle Tätigkeitsbeschreibung. »Bei Slitscan.«
    Laney antwortete nicht.
    »Das Mädchen wurde intensiv überwacht. Slitscan hat sie keine Minute aus den Augen gelassen. Sie wissen, weshalb.
    Wir glauben, es ließe sich beweisen, daß Slitscan die Schuld an Alison Shires’ Tod trägt.«
    Laney schaute auf seine

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