If you stay – Füreinander bestimmt
Ich spüre ihren Blick auf mir ruhen, sehe den mitfühlenden Ausdruck auf ihrem Gesicht. Doch ich will ihn mir nicht anschauen, also gucke ich nicht hin. Ich habe ihn nicht verdient. Ich habe ihre Güte nicht verdient.
»Wir sollten darüber reden«, sagt sie leise, aber nachdrücklich.
Sie legt eine Hand auf mein Bein. Ihre Finger sind kalt. Normalerweise würde ich sie umfassen und mit meiner Hand wärmen. Doch nicht jetzt. Ich verdiene es nicht, sie mit denselben Händen zu berühren, mit denen ich meine Mutter getötet habe. Also halte ich mit ihnen weiter das Lenkrad umklammert und starre auf meine Narbe. Sie ist gezackt und tief, die Ränder weiß.
Ich habe mein Zeichen auf dir hinterlassen.
Ich erinnere mich daran, wie der Mann mit den gelben Zähnen die Schnitte auf meiner Hand mit dem Blut meiner Mutter nachgezeichnet hat. Ihr Blut klebt buchstäblich an meinen Händen. Es hat meine Haut für immer durchdrungen.
Ich habe mein Zeichen auf dir hinterlassen.
Ich schlucke. »Ich habe meine Mutter umgebracht. Da gibt es nichts weiter zu sagen. In meinen Träumen dachte ich, dass sie mich mit flehender Stimme um etwas bitten würde, aber so war es nicht. Sie hat
ihn
angefleht und um mein Leben gebettelt.«
Mit einem Mal holt mich das alles ein, und mir wird ganz heiß. Ich hole tief Luft, sauge sie in mich ein. Das Weiß des Schnees und des Himmels scheinen um mich herumzuwirbeln, und ich vermag nicht mehr klar zu sehen. Ich fahre an den Straßenrand, öffne mein Fenster einen Spalt breit, und dann starre ich in die Ferne, während ich versuche, die Dinge wieder unter Kontrolle zu bekommen – meinen Herzschlag, meine Atmung, meine Gedanken.
Mila schweigt.
Vermutlich weiß sie nicht, was sie tun soll.
»Pax«, versucht sie es schließlich, »es gibt alles Mögliche zu sagen. Du weißt, dass es nicht deine Schuld gewesen ist. Er war derjenige mit der Pistole, der deiner Mutter Gewalt angetan hat. Nicht du. Ich liebe dich. Ich werde alles für dich tun. Sag mir nur, was. Wir werden das gemeinsam durchstehen.«
Ihre Worte verklingen, und ich starre hinaus in den stillen Wintertag.
Ich kann einfach nicht glauben, dass sich die Welt weiterdreht, alles so weiterläuft, als wäre nichts geschehen. Krähen hocken in einem Baum, und ich kann sie krächzen hören. Ich frage mich für einen flüchtigen Moment, warum sie nicht in den Süden geflogen sind, aber im Grunde ist es mir scheißegal. Der Schnee wird über die Straße geweht, und vor uns sehe ich, wie langsam ein Schneepflug die Straße heraufkommt. Er blinkt gelb im Matsch. Leute laufen, warm gekleidet, über den Gehweg, trotzen dem kalten Winter. Alles ist kalt. Der Tag, der Wind, der Kloß in meinem Hals.
Ich schlucke heftig, aber er will einfach nicht verschwinden.
Ich schüttele den Kopf und starte den Wagen erneut, fahre zu meinem Haus. Die Straße hinter uns ist ein einziges verschwommenes Grau.
Nachdem wir über den knirschenden Schnee in meiner Einfahrt gefahren sind, wende ich mich Mila zu.
»Ich werde heute keine gute Gesellschaft abgeben. Ich glaube, ich sollte besser allein bleiben.«
Sie schüttelt bereits den Kopf.
»Kommt gar nicht in Frage. Ich werde dich nicht stören, Pax. Aber Dr. Tyler hat gesagt, dass du nicht allein bleiben solltest. Also mach, was du willst, denk über Dinge nach, verarbeite es auf deine Weise, aber ich werde hierbleiben! Ich verschwinde nur kurz in die Stadt, um dein Medikament zu holen. Das wird aber nicht lange dauern.«
Ich nicke und gehe ins Haus. Ich drehe mich nicht um, obwohl ich spüre, wie sich Milas Augen in meinen Rücken bohren.
Ich stehe mit hängenden Schultern mitten in meinem Wohnzimmer. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Wie soll ich das nur verarbeiten? Kann man so etwas überhaupt verarbeiten?
Unvermittelt fällt mir mein Vater ein, und eine ungeheure Wut steigt in mir auf, die diese Gefühllosigkeit überwindet.
Er wusste davon. Er hat es all die Jahre gewusst und mir nichts davon erzählt. Er hat zugelassen, dass ich meine Erinnerungen verdrängt habe. Er hätte wissen müssen, was mir das antun würde.
Aber jetzt ergibt alles einen Sinn. Kein Wunder, dass er nach dem Tod meiner Mutter immer so viel gearbeitet hat. Er wollte mich nicht sehen. Wie, um alles in der Welt, hätte er mir in dem Bewusstsein, dass ich seine Frau getötet habe, ins Gesicht sehen sollen? Und auch wenn ihm möglicherweise gar nicht klar gewesen ist, welchen Anteil ich an ihrem Tod habe, so wusste er
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