Ihr letzter Tanz
Praktikant in der Notaufnahme, der in jeder Reaktion des Körpers gleich eine schwere Krankheit vermutete, wollte Doug auch die kleinste sonderbare Regung seiner Mitmenschen als einen Hinweis auf boshafte Absichten deuten.
Für jemanden, der in Miami-Dade County seinen Dienst verrichtete, war das eine lästige Eigenschaft, da man das Verhalten gut der Hälfte aller Einwohner als sonderbar bezeichnen konnte.
Quinn wusste nicht, ob er seufzen oder sich tatsächlich Sorgen machen sollte. Doug hätte ihn nicht aufspüren lassen, wenn es lediglich um ein paar hypothetische Fragen ginge.
„Mom?“ fragte Quinn ein wenig nervös.
„Ihr geht’s gut. Das Herz tickt wie ein Uhrwerk“, versicherte Doug ihm rasch. „Allerdings sprach sie davon, dass du schon länger nicht mehr bei ihr warst. Sie würde sich freuen, wenn du wieder öfter zum Essen vorbeikämest. Vielleicht rufst du sie einfach mal an.“
„Ich habe ihr auf den Anrufbeantworter gesprochen, dass es mir gut geht und dass ich viel zu tun habe.“
„Sicher. Aber sie ist nicht auf den Kopf gefallen, und sie liest jeden Tag die Zeitung.“
„Bist du deshalb hier?“ wollte Quinn wissen und hob eine Braue.
„Ich habe einen Fall für dich“, entgegnete Doug und ging um Quinn herum, um ihm beim Abnehmen der Sauerstoffflaschen zu helfen.
„Soll ich dir was sagen, kleiner Bruder? Du musst für mich nicht nach Fällen suchen. Die Detektei leistet da gute Arbeit – mehr als gut, um genau zu sein. Außerdem habe ich Urlaub.“
„Ja, das sagte Amber mir schon. Darum dachte ich, es wäre doch eine schöne Sache, wenn du für mich eine private Sache übernimmst.“
Quinn stöhnte auf. „Verdammt, Doug. Du erwartest von mir, dass ich für dich den Schnüffler spiele?“ Er warf Amber einen finsteren Blick zu.
„Heh, er ist dein Bruder“, wehrte sie sofort ab. „Weißt du was? Nachdem wir dich jetzt gefunden haben, lasse ich euch zwei in Ruhe reden. Ich setze mich drüben bei Nick’s hin und esse eine Hamburger.“ Sie warf ihr langes blondes Haar über die Schulter, und bevor sie das Boot verließ, sah sie noch einmal zu Quinn, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie wütend er wirklich auf sie war.
Doug trug derweil ein reumütiges Grinsen zur Schau. „Hey, ich mache dir auch deine Ausrüstung sauber“, sagte er, als wollte er damit etwas wiedergutmachen.
„Gut, mach das. Ich bin solange in der Kajüte.“
Quinn ging die zwei Stufen hinunter aufs Unterdeck der
Twisted Time
, zog sich aus, duschte rasch, und griff sich eine frische kurze Hose aus dem Wäschekorb in der Kabine. Barfuß und noch immer nicht ganz trocken, kehrte er in die Kajüte zurück, nahm ein kaltes Miller aus dem Kühlschrank in der Kombüse und ließ sich damit aufs Sofa fallen.
Als Doug zu ihm kam, war Quinns Miene noch immer finster, und er trommelte ungeduldig mit seinen Fingern auf das Polster.
Doug holte sich ebenfalls ein Bier und nahm gegenüber von Quinn Platz.
„Ich soll für dich etwas umsonst machen, stimmt’s?“ sagte Quinn ihm auf den Kopf zu.
„Na ja … so ungefähr. Ehrlich gesagt, es wird dich sogar etwas kosten“, druckste Doug.
„Wie bitte?“
„Du musst Tanzstunden nehmen.“
Sekundenlang starrte Quinn seinen Bruder an, ohne ein Wort herausbringen zu können. „Du hast den Verstand verloren“, entgegnete er dann.
„Nein, habe ich nicht. Und du wirst es verstehen, wenn ich es dir erklärt habe.“
„Das werde ich nicht.“
„Doch, du wirst es. Es geht um einen Todesfall.“
„Weißt du, wie viele Leute jeden Tag sterben, Doug? Du bist ein Cop, du solltest das eigentlich wissen. Wenn es nicht nach einem natürlichen Tod aussieht, beginnt die polizeiliche Ermittlung. Und wenn man es doch für einen natürlichen Tod hält, wirst du in der Abteilung sicher jemanden kennen, der der Sache nachgehen kann.“
Quinn schwieg, betrachtete seinen Bruder und dachte nach. Doug zu sehen war für ihn so, als würde er sein eigenes, jüngeres Spiegelbild betrachten. Der Altersunterschied zwischen ihnen betrug acht Jahre. Sie sahen sich ähnlich, waren mit 1,88 Meter gleich groß, aber Doug war mit Mitte zwanzig noch ein schlanker Mann, während Quinn schon ein wenig in die Breite gegangen war. Quinn hatte dunkles Haar, das von Doug war strohblond, doch beide hatten sie vom Vater die dunkelblauen Augen und das harte, kantige Gesicht geerbt. Manchmal bewegten sie sich sogar gleich und gestikulierten beim Reden, als würden Worte allein nicht
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