Illuminati
wohl mein Glückstag heute.
Es dauerte weitere drei Minuten, bis Kohler und Langdon ihr Ziel erreicht hatten, ein großes, gepflegtes Wohngebäude inmitten eines Pappelhains. Im Vergleich zu den anderen Wohnheimen wirkte es geradezu luxuriös. Die Steintafel neben dem Eingang trug die Aufschrift BULDING C.
Fantasievolle Bezeichnung, dachte Langdon.
Trotz des nichts sagenden Namens fand Langdon Gefallen an dem Gebäude und seinem architektonischen Stil – konservativ und solide. Die Fassade bestand aus roten Ziegelsteinen und besaß eine reich verzierte Balustrade. Das ganze Gebäude war eingefasst von einer symmetrischen, sauber getrimmten Hecke. Auf dem Weg zum Eingang passierten die beiden Männer einen Torbogen, der von zwei Marmorsäulen gestützt wurde. Irgendjemand hatte eine gelbe Haftnotiz an eine der Säulen geklebt:
DIESE SÄULE IST IONISCH.
Physiker-Graffiti?, sinnierte Langdon, während er die Säule musterte und leise vor sich hinkicherte. »Ich sehe mit Erleichterung, dass selbst die brillantesten Physiker hin und wieder Fehler machen«, sagte er.
Kohler wandte sich zu ihm um. »Wie meinen Sie das?«, fragte er.
»Wer immer diesen Zettel geschrieben hat, ist im Irrtum. Diese Säulen sind nicht ionisch. Ionische Säulen sind gerade. Diese hier verjüngen sich nach oben hin. Sie sind dorisch – das griechische Gegenstück. Ein weit verbreiteter Irrtum.« Kohler lächelte nicht. »Der Urheber wollte einen Scherz machen, Mr. Langdon. Ionisch bedeutet, dass Ionen enthalten sind – elektrisch geladene Partikel. Die meisten Objekte enthalten Ionen.«
Langdon starrte auf die Säule und stöhnte resigniert.
Langdon fühlte sich immer noch wie ein dummer Junge, als er im obersten Stockwerk von Building C aus dem Aufzug trat. Er folgte Kohler durch einen möblierten Korridor. Die Ausstattung war eine Überraschung – traditioneller französischer Kolonialstil, ein Diwan aus Kirsche, eine Bodenvase aus Porzellan, verschnörkelte Holzarbeiten.
»Wir bieten unseren fest angestellten Wissenschaftlern nach Möglichkeit eine komfortable Umgebung«, erklärte Kohler.
Offensichtlich, dachte Langdon. »Also hat der Mann auf dem Fax hier oben gewohnt? Einer Ihrer leitenden Angestellten?«
»Sozusagen«, antwortete Kohler. »Er kam heute Morgen nicht zu einer Besprechung und hat auch nicht auf den Pager geantwortet. Ich kam hierher, um ihn zu suchen, und fand ihn tot in seinem Wohnzimmer.«
Langdon erschauerte unwillkürlich, als ihm bewusst wurde, dass er nun einen Leichnam zu sehen bekam. Sein Magen war nie sonderlich robust gewesen – eine Schwäche, die er zum ersten Mal als Kunststudent entdeckt hatte. Damals hatte die Professorin ihren Studenten erzählt, wie Leonardo da Vinci sein Wissen über den menschlichen Körper erlangt hatte. Durch das Sezieren exhumierter Leichen.
Kohler führte ihn bis ans Ende des Korridors. Sie kamen zu einer einzelnen Tür. »Das Penthouse, wie Sie es wahrscheinlich nennen würden«, verkündete Kohler und tupfte sich mit einem weißen Taschentuch Schweißperlen von der Stirn.
Langdon musterte die Eichentür. Auf dem Namensschild stand:
LEONARDO VETRA
»Leonardo Vetra wäre nächste Woche achtundfünfzig geworden«, verkündete Kohler. »Er war einer der brillantesten Köpfe unserer Zeit. Sein Tod ist ein herber Verlust für die gesamte Wissenschaft.«
Einen Augenblick lang meinte Langdon, in Kohlers hartem Gesicht Emotionen zu entdecken. Doch sie vergingen so schnell, wie sie gekommen waren. Kohler griff in seine Tasche und zog einen großen Schlüsselbund hervor.
Ein eigenartiger Gedanke stieg in Langdon auf. Das Gebäude wirkte verlassen. »Wo sind die anderen alle?«, fragte er. Angesichts der Tatsache, dass sie im Begriff waren, den Schauplatz eines Mordes zu betreten, hatte er nicht mit solcher Stille gerechnet.
»Die Bewohner sind in ihren Labors«, erwiderte Kohler, während er nach dem richtigen Schlüssel suchte.
»Ich meine die Polizei!«, erklärte Langdon. »Ist sie schon wieder weg?«
Kohler zögerte mit dem Schlüssel halb im Loch. »Polizei?« Langdon hielt dem Blick des Direktors stand. »Ja. Sie haben
mir ein Fax geschickt, auf dem ein Ermordeter zu sehen ist. Sie müssen doch die Polizei gerufen haben!«
»Das habe ich ganz gewiss nicht.«
»Was?«
Kohlers graue Augen wurden hart. »Die Situation ist nicht so
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