Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
dritten Stock des Katzung-Hauses.
Einige Tage später wird das Schauspielerpaar unter Ausschluss der Öffentlichkeit um zehn Uhr nachts bestattet, sie auf dem Totenacker, er in ungeweihter Erde hinter dem Friedhof, wie es in einer Quelle heißt.
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So geht es einem, der nicht geht, einem, der sich nur noch von Gewohnheiten bewegen lässt. Sorglos betritt er des Morgens eine Bäckerei, und plötzlich erzählt ihm das Haus –
Ach, lass mich doch in Ruhe! Selbst wenn ich die Tafel auf dem Haus nebenan gelesen hätte, heißt das noch lange nicht, dass ich dadurch auf die Mordgeschichte gekommen wäre. Auf einen Namen wäre ich gestoßen, mehr nicht.
Auf drei Namen, denn neben Seusenhofer werden auch Caspar Gras und Caspar Waldmann auf der Tafel genannt, alle drei als Künstler beschrieben. Ich gebe zu, die Auskunft ist dürftig, aber ein wenig mehr von der Neugier des seusenhoferschen Zeitalters, in der sich ein Genueser auf den Weg macht, einen Seeweg nach Indien zu entdecken, könnte nicht schaden. Dass solch eine Entdeckungsreise von hier aus nicht möglich ist, wie du mir vielleicht entgegnen möchtest, stimmt nicht. Im gleichen Jahr, als Kolumbus Bekanntschaft mit den vermeintlichen Indianern macht, schickt Erzherzog Sigmund den Tiroler Michael Snups von Innsbruck aus auf Expedition ins russische Reich, das damals für europäische Verhältnisse nicht weniger Terra incognita ist als Amerika.
Bist du jetzt fertig?
Nicht ganz. Du warst es, der sich vorhin auf Konz Speiser und dessen Interessen bezogen hat, dabei scheinst du vergessen zu haben, dass sich dir sehr wohl die Möglichkeiten bieten, die ihm und seinen Mitmenschen vorenthalten waren.
Wovon sprichst du?
Du hast die Chancen, etwas in einen überregionalen Rahmen zu stellen. 1503, als den Innsbruckern das Who is who der okzidentalen Musikerelite aufspielt, erscheint in verschiedenen Städten Europas ein Bändchen mit dem Titel Mundus Novus . Darin werden in farbigen, bildhaften Worten die Reisen eines Albergius Vesputius in die Gegend Brasiliens geschildert. Das Zeitalter der Speisers, Hofhaimers und Türings ist auch das des Amerigo Vespucci und des Sigismund Freiherr zu Herberstein. Letzterer, Diplomat im Dienste Maximilians, unternimmt eine Reise nach Moskau, deren Ergebnis ein Buch ist, das in den folgenden hundert Jahren zwanzig Auflagen erlebt.
Du betreibst Geschichtsklitterung. Und abgesehen davon: Glaubst du nicht, dass du von deinen Mitmenschen etwas zu viel verlangst, wer kennt schon einen Freiherrn zu Herberstein?
Zu viel? Unterwegssein ist unserer Generation doch alles. Überall wollen wir hin und kommen doch stets nur an im Ungefähr. Fontane fällt mir ein, so passend für dich, für mich, Fontane, er schreibt, „in einem fort quasseln sie vom ‚Schönen, Guten, Wahren‘ und knicksen doch nur vor dem Goldenen Kalb.“ Denn auf Reisen bereitet man sich vor und eine Reise in den Häusergeschichten ist kein All-inclusive-Tibetistan-Trip, bei dem man im vollklimatisierten Jumbo die Kompaktversion eines Handbuchs durchblättern kann. Was verlangt man von einem, der keine Ahnung davon hat, wie viele unterschiedliche Arten von Räucherstäbchen es auf dem Markt von Bombay gibt? Hab ich Bombay gesagt? Pardon, Mumbai natürlich. Wer noch nicht in Indien war, erntet mitleidige Blicke, einmal Thailand hin und retour gehört heute in jede Biographie. Erkenne im Fremden das Eigene, ist zum Slogan für Last-Minute-Agenturen geworden, die ein Ticket in die Individualität anpreisen – und gleich eilt die Herde herbei. Insofern erzählen die Häuser auch vom Scheitern des Individuums, ein Scheitern, das in den Augen beginnt und sich zur Blindheit auswächst, die dann zu den überall nachgeplapperten Stereotypen führt, eine Gangway in die Unmündigkeit.
Ich blickte zum Rollsteinwerk.
Dabei befördert dich diese mittelalterliche Wand auf eine Reise, die ein weit weniger ichsüchtiges Unterfangen ist als der Großteil dieser selbstgefälligen Streifzüge durch die letzten unentdeckten Zonen dieser Erde. Ach, was soll ich lang reden, den einen sendet der Solipsismus ans Meer, den anderen schickt er in die Wüste, ich nehme mich da ja nicht aus.
Und jetzt gehst du mit den Häusern dieser Stadt hausieren, fragte ich spöttisch, er schaute mich an, sein Blick löste das bekannte Sprichwort ein.
Ich schlenderte Richtung Tür, hatte die Türklinke schon in der Hand, als er mir nachrief:
Jede Wette gehe ich mit dir ein, dass mir deine Antwort auf eine
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