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Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Titel: Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Autoren: Christoph W. Bauer
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mittelalterliche Stadt, die nicht eine Feuerordnung erlässt. Doch Verordnungen sind Theorie, lassen an heutige Katastrophenschutzpläne denken, die Realität sieht anders aus. Das beweist unter anderem eine Märznacht im Jahr 1728, die Häuser erzählen:
    Feuer im Zentrum der Stadt, der Turmwächter bemerkt es erst, als bereits ein ganzer Dachstuhl in Flammen steht. Fast eine halbe Stunde verstreicht, ehe die aus dem Schlaf gerissenen Bürger zur Brandbekämpfung erscheinen. Grenzenlose Verwirrung, keiner weiß, was er zu tun hat, und wo, verdammt, bleibt die Löschmannschaft? Sie wartet vor dem Stadttor, das nicht geöffnet werden kann, da der Schlüssel in der Hektik nicht gleich gefunden wird. Endlich ist der Trupp vor Ort, die Flammen lodern bereits turmhoch auf, Dachschindeln springen vom Gebälk, werden zu feurigen Geschossen. Die größte und beste Spritze versagt ihren Dienst, es fehlt an Äxten, um die glühenden Holzzargen zerschlagen zu können; die ledernen Feuerkübel sind wie Siebe, gleichen eingeschrumpften Dudelsäcken. Einer aus dem Trupp hat sich fast bist zum Giebel durchgekämpft, gleitet plötzlich aus, stürzt in die Tiefe; einem anderen brechen die morschen Sprossen der Leiter unter den Füßen weg, ein dumpfer Aufschlag, wieder einer, hysterische Schreie verhallen in den Gassen. Der Pfarrer erscheint mit der Monstranz, will das Feuer segnen, steht dem Löschtrupp im Weg wie die auf Knien liegenden, zum Himmel flehenden Frauen, Männer, Kinder. Gott sei Dank, es herrscht Windstille, Qualm, überall Qualm, und dort oben – sind das Rauchwolken oder ist das Firmament wirklich bedeckt? Lass es schütten, Herr, rufen die Gläubigen, schick uns den Regen! Auch vor den Kirchen Hochbetrieb, jeder will noch rasch ein Gebet verrichten –
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    Eine der frühesten Bestimmungen über die Hilfsdienstpflicht bei Feuersbrünsten stammt aus dem Jahr 1276, verfasst im Stadtbuch von Augsburg. Aber auch in den ältesten Wiener Stadtrechtsprivilegien aus den Jahren 1221 und 1340 sind Brandschutzregelungen enthalten. Die größte deutsche Stadt des Mittelalters, Köln, erlässt 1403 eine vollständige Löschordnung, Basel folgt diesem Beispiel 1411, Frankfurt 1439, die Hansestadt Lübeck 1461. In Ulm, wie Augsburg Reichsstadt, wurde 1476 die Feuerordnung erneuert, es muss also schon vorher eine gegeben haben. Im Jahr, als Michael Snups sich nach Russland aufmacht, rückt die Residenzstadt Stuttgart dem Feuer per Dekret auf den Leib, 37 Jahre später, 1529, auch die Stadt Dresden, 1587 Salzburg, 1610 Kitzbühel, 1709 Bern –
    Wie groß ist denn Köln im Mittelalter?
    Die Stadt hat zu ihrer Blütezeit im 13. und 14. Jahrhundert ungefähr 30.000 bis 40.000 Einwohner.
    Na, von einer großen Stadt kann man da nicht sprechen.
    Selbst die Metropolen Venedig, Mailand oder Florenz, die größten Städte des Mittelalters, haben nicht mehr als 60.000 bis 100.000 Einwohner. Wobei, ich denke da an den Immobilienvertreter von neulich, die größte mittelalterliche Stadt Europas ist Konstantinopel.
    Und wie groß ist Innsbruck?
    Im Vergleich dazu ein Zwerg, wie die meisten der rund 3.000 deutschen Städte jener Zeit, sie zählen auch nicht mehr als 1.000 Einwohner. Konkurrenzfähig ist man hierorts in Sachen Gestank, den gab es in jeder Stadt. Der Abfall ist das chronische Problem des Mittelalters, so etwas wie ein hygienisches Verantwortungsbewusstsein gibt es damals nicht. Der Unrat wandert einschließlich der Fäkalien auf die Straßen, wo er sich mit den Exkrementen der Pferde, Schweine, Hühner, herumstreunender Hunde und sonstiger Haustiere zu einer pikanten Schlacke vermengt, deren Geruch wie eine Glocke jedem Neuankömmling in der Stadt Willkommen läutet.
    Irgendwie muss man die Abfälle doch beseitigt haben, nicht?
    Eine besondere Art der Müllentsorgung lassen sich die Bewohner von Straßburg einfallen. Sie füllen Fässer mit Unrat ab, laden sie auf Schleudern und befördern die aasige Bouillon in eine von der Stadt belagerte Burg. Die meisten Städte jedoch setzen auf konventionelle Methoden, stellen Knechte und so genannte Mistdirnen an, die ab und zu den Marktplatz freischaufeln. In Innsbruck ist das die Aufgabe des Totengräbers, der seinen Dienst wohl nur dann versieht, wenn sich hoher Besuch in der Stadt angekündigt hat. Auch die Leerung der Kotgruben liegt in seinem Ressort, wobei er die Fäkalien meist in die schmalen oberirdisch verlaufenden Rinnen kippt, die man Einkehr, Rusten, Päch, später auch
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