Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Katzung-Haus?
Genau. Was kann es alles erzählen, dieses Haus? Vielleicht von einem Mord? Vom Geschmack des Innsbrucker Theaterpublikums? Oder legt es Zeugnis ab von den Moralvorstellungen einer Zeit, in der das metternichsche System das Land sozusagen in Polizeigewahrsam nimmt?
Lass es vom Mord erzählen! Ich nahm wieder neben ihm Platz.
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Vorhang auf! Alles beginnt mit der Neueröffnung des Innsbrucker Stadttheaters am 19. April 1846, dem Geburtstag Kaiser Ferdinands I. Im Rahmen der Eröffnungswoche bietet der damalige Schauspieldirektor Ignaz Carl Korn dem Innsbrucker Publikum drei Premieren an: Ein deutscher Krieger von Eduard von Bauernfeld, Der Zerrissene von Johann Nestroy und als Opernauftakt Lucretia Borgia von Gaetano Donizetti. Kein schlechter Anfang, Donizettis Opern erfreuen sich zu jener Zeit größter Beliebtheit und Nestroy gilt schon damals als Theaterfixstern. Nebenbei, das Haus Bräunerstraße 3 in Wien, es erzählt dir ausführlich von Johann Nepomuk Eduard Ambrosius –
Komm zur Sache!
Es ist ohnehin Bauernfelds Stück, das zum Eklat führt, pass auf! Eduard von Bauernfeld, Meister des Konversationsstücks und jahrelang Hausdichter am Wiener Burgtheater, steht mit den künstlerischen Größen seiner Zeit in engstem Kontakt und pflegt unter anderem Freundschaften zu Moritz von Schwind, Franz Schubert, Nikolaus Lenau und Franz Grillparzer. Vor allem aber ist Bauernfeld als Vertreter des großdeutsch-liberalen Bürgertums ein deklarierter Kritiker der Ära Metternich, was sich selbstverständlich auf seine Arbeit auswirkt. So werden auch im Innsbrucker Premierenstück zahlreiche gegen die Regierung gerichtete Stellen der Zensur unterworfen, Passagen, die das Publikum jedoch besonders gern gehört hätte, was zu einem lautstarken Buhgeheul nach Fallen des Vorhangs führt.
Das mag schon sein, aber –
Bauernfelds Stück wird zum Anlass zunächst für einen Verriss, der gut fünf Monate nach der Neueröffnung des Theaters in einer Nürnberger Zeitung erscheint, in weiterer Folge – Doch der Reihe nach. In der Theaterkritik, die sich über mangelnde schauspielerische Leistung auslässt, ist mitunter die Rede vom dummen Publikum in Innsbruck, wo – wie es in dem Beitrag wörtlich heißt – der physische Kretinismus zwar im Abnehmen, der geistige aber desto mehr im Fortschreiten begriffen ist. Als Verfasser dieses Artikels vermutet man einen Schauspieler des Innsbrucker Theaters, einen knapp 50-Jährigen. Der lebt mit einer Schauspielerin zusammen, die halb so alt ist wie er und die er immer als seine Nichte ausgibt. Dass ihm das niemand abnimmt, wird zum Fließband für allerlei Tratsch in der Stadt. Zwar beteuert der fortan bei jedem Auftritt Ausgepfiffene, er habe nichts mit dem Verriss zu tun, auch beruhigen sich die Publikumsgemüter allmählich, bei einer der Vorstellungen jedoch begibt sich die Polizei in die Wohnung des Schauspielers – und findet tatsächlich unwiderlegbares Beweismaterial.
Welches Unglück sich in jener Nacht nach der Visitation in besagter Wohnung abspielt, kann nur erahnt werden. Auf jeden Fall erscheint der Schauspieler am darauf folgenden Morgen nicht zur Probe im Theater, man schickt nach ihm, doch die Tür ist verschlossen, wird dem Boten auch auf wiederholtes, lautstarkes Anklopfen und Rufen nicht geöffnet.
Nun kommt eine Wohnungsnachbarin ins Spiel, derzufolge nächtens heftige Streitereien und das verzweifelte Weinen einer jungen Frau aus der Wohnung nebenan zu hören gewesen waren. Sofort sind die Behörden zur Stelle, die Tür wird mit Gewalt geöffnet, den Eintretenden bietet sich ein Bild des Schreckens: Der Schauspieler liegt mit durchschnittener Kehle im Bett, eine Blutlache hat sich über den ganzen Zimmerboden ausgebreitet. Ein ähnlicher Anblick in einem der Nebenzimmer, dort die Schauspielerin, zur Gänze bekleidet, wie es in dem Polizeibericht heißt, und mit nur zum Teil durchschnittener Kehle, aber so tot wie ihr einstiger Geliebter.
Bei den folgenden Ermittlungen finden die Behörden alle Fugen des Zimmers mit Baumwolle verstopft, am Boden eine Glutpfanne, was die Polizisten stutzig macht und einen Mord im Affekt ausschließt, ist doch die Pfanne als Indiz zu werten, dass zunächst die Absicht bestanden haben muss, mit Kohlendampf den Tod herbeizuführen, ehe das Messer zur Tatwaffe wurde. Nun muss nur noch ein Protokoll erstellt werden, Tatzeit – zwischen elf und zwei Uhr nachts, Tatwaffe – ein Messer, Tatort – eine Wohnung im
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