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Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Titel: Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph W. Bauer
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einzige Frage die Blindheit und Gleichgültigkeit, mit der du durch die Straßen gehst, vor Augen führt.
    Ich ballte die Fäuste, machte auf dem Absatz kehrt und ging langsam auf ihn zu.

II
    12
    Du wohnst wie ich seit einigen Jahren in dieser Straße. Wenn ich dich nach Häusern frage, die sich dir besonders eingeprägt haben, welche würdest du nennen? Sag schon! Welche Häuser fallen dir spontan ein?
    Ich weiß nicht, also – gleich in der Nähe das Haus, in dem sich die Apotheke und das Metropolkino befinden. Oder das Gebäude, in dem der Supermarkt untergebracht ist, ein eigenartiger Bau, von dem meine Freundin immer sagt, er erinnere sie an ein Gefängnis. Die St.-Nikolaus-Volksschule, der Kindergarten, die Berufsschule; gleich anschließend das verlotterte Haus, das ein verwilderter Garten umgibt.
    Hast du mit dem Rauchen aufgehört?
    Die Tabaktrafik! Die Studentenverbindungsbude, ferner das Haus, in dem sich das indische Restaurant befindet. Dieses Haus hier, die Bar, und natürlich das Haus, in dem ich wohne.
    Ist das etwa schon alles? Nicht gerade groß, deine Ausbeute. Immerhin, allein diese elf Häuser reichen schon aus, dir von den Höhen und Tiefen der Stadt zu erzählen, und nicht nur dieser Stadt, sondern – Was schaust du so ungläubig? Ja, elf Häuser reichen aus. Denn die Geschichten, die sie erzählen, führen dich zu anderen Gebäuden, wie dir die Seusenhofer-Behausung nebenan bewiesen hat. Auch das Haus, in dem du wohnst, kann dir zum Wegweiser werden. Schau dir das Portal genau an, nur ein paar Schritte von diesem Gewölbe entfernt findest du ein ähnliches.
    Die reiche Nagelfluhrahmung am Rundbogenportal zu deinem Haus zeigt die typischen Merkmale des Übergangs von der Spätgotik in die Renaissance. Bezeichnend dafür auch die tangentialen Stäbe in den Kehlungen des Bogens, dieselben findest du beim Ansitz Rainfels in der Innstraße 17.
    In der Innstraße 17, ein Ansitz soll dort sein?
    Rechts des Portals sind zwei gemalte Wappen zu erkennen. Überhaupt weist das Haus eine reiche Fassadendekoration auf, die dürfte aber erst später angebracht worden sein, sie zeugt wie der reich geschwungene Giebel des Hauses von barockem Zeitgeschmack. Dafür spricht auch die üppig gestaltete Umrahmung der Fenster, die seitlichen Pilaster tragen ein Gebälk mit Akanthus und Muschelbekrönung, die Putten sollen diese noch zusätzlich beleben. Das Akanthusblattwerk ist als stilisiertes Ornament seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. ein charakteristisches Merkmal der korinthischen Kapitelle; so werden heute noch Diskontmöbel, die den Geschmack der Neuzeit kopieren, verziert.
    Auf diese Weise könnte dir ein Fremdenführer in einer Stadt deiner Wahl ein Haus beschreiben, du würdest es rasch photographieren und dir dann daheim mit versonnenem Blick das Bild ansehen.
    Und diesen Ansitz, hat Türing ihn erbaut?
    Niklas Türing der Jüngere, der auch das Portal unter deinem Wohnzimmerfenster gestaltet hat. Der Enkel von Meister Niklas kauft im Jahr 1547 den heutigen Ansitz als Brandruine. Rainfels erzählt dir eine Geschichte, die sich bereits vorhin angekündigt hat: Kaum eine mittelalterliche Stadt bleibt von Bränden verschont. Die damalige Bauweise birgt schon alleine durch die Beheizung der Häuser mit offenem Feuer jede Menge Risiken in sich. Außerdem: Auf das Wetter hat man keinen Einfluss, Hauswurz, Zaubersprüche und kirchliche Segnungen feien nicht vor dem Blitz. So kann ein Gewitter zum Brandstifter werden, der ganze Stadtteile in Schutt und Asche legt. Im 15. Jahrhundert wütet in der Straße vor dieser Bar ein Brand, der gut fünfzig Häuser völlig zerstört.
    Fünfzig Häuser, sagtest du?
    1270, 1292, 1332, 1333 – so rasch verkommt das Elend der Betroffenen zur Aufzählung. Dabei zerstört der am 4. April 1292 tobende Brand beinahe die ganze Stadt. Und wie groß die Verwüstung nach derartigen Bränden sein muss, welche Belastung die Katastrophen für die Bevölkerung darstellen, veranschaulicht ein königlicher Erlass aus dem Jahr 1333. Darin wird den Bewohnern in St. Nikolaus eine zehnjährige Steuerfreiheit wegen der gewaltigen Brunst gewährt.
    Aus leidvollen Erfahrungen lernend, treffen die frühen Städte zahlreiche feuerpolizeiliche Maßnahmen. Feuerbeschauer, wie man damals die Kontrollorgane nennt, haben vierteljährlich und öfter die Kamine und Öfen der Stadthäuser zu inspizieren. Einige Gewerbe, zum Beispiel die Bäcker und die Schmiede, sind bei starkem Wind dazu angehalten, den

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