Im Antlitz des Herrn
Kollegen Giuseppe Lamberti nicht zu.»
John erhob sich von seinem Platz und nahm den schmalen, in kardinalsrotes Leder gebundenen Ordner in die Hand, den er vor der Sitzung an die Teilnehmer ausgegeben hatte und den er nach Ende der Besprechung wieder einsammeln würde. Es sollte nichts Schriftliches den Raum verlassen, weshalb er auch darum gebeten hatte, auf Notizen zu verzichten. Daraufhin hatten sich die Männer entspannt zurückgelehnt.
«Nun ja, Sie haben alle gelesen, was wir bisher über den Sachverhalt wissen.»
John wandte sich Giuseppe Lamberti zu und war froh, dass man sich am Beginn der Sitzung als Verneigung vor dem Vorsitzenden darauf verständigt hatte, die Verhandlung auf Englisch zu führen. Alle Mitarbeiter der Kurie mussten mehrere Sprachen beherrschen, drei oder vier waren die Regel, mancher Geistliche konnte aber auch in acht oder neun Sprachen komplizierte Sachverhalte darlegen. Wie die meisten Amerikaner im Vatikan war John nicht der Sprachbegabteste. In Französisch wäre es ihm schwergefallen, seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen. So aber sprach er fest und vernehmlich:
«Wenn es stimmt, was unser Informant vermutet, handelt es sich um die größte Bedrohung, der die Kirche jemals gegenüberstand.»
John wollte nur einen Moment warten, um seine Worte wirken zu lassen, eher er fortfuhr und die Einzelheiten des Berichts erläuterte. Diese Pause nutzte Amato Battista, leitender Sekretär der ersten Sektion des Staatssekretariats.
«Wie oft genau diese Worte in den letzten zweitausend Jahren wohl schon in ähnlichen Gesprächsrunden und bei vergleichbaren Gelegenheiten gefallen sind?»
Battista lehnte sich nach vorne und blickte sich in der Runde um. John spürte, dass er sich der Wirkung seiner Worte sehr sicher war. Kein Wunder, schließlich arbeitete er fast zwanzig Jahre an der Schaltstelle der vatikanischen Macht. Im Staatssekretariat liefen alle Fäden zusammen, und Battista gehörte zu den gewieftesten Taktikern der Kurie. Obwohl John ein Neuling war, durchschaute er seinen Plan. Er wollte die Diskussion so schnell wie möglich beenden, ganz gleich, ob er Johns Einschätzung über die tatsächliche Gefährdung teilte oder nicht. John wusste auch warum. In Vorbereitung dieser Sitzung hatte er mit Silvio Careggio gesprochen, mit dem er seit ihrer gemeinsamen Zeit im Priesterseminar befreundet war. Silvio arbeitete seit einigen Jahren im Staatssekretariat und interessierte sich für jede Form von Klatsch und Tratsch. John hatte für dieses Treffen sein Lieblingsrestaurant in Trastevere ausgewählt. Zwei, drei Gläser Wein würden Silvios Zunge lösen. Als sie bei den Dolci angelangt waren, fragte er beiläufig:
«Sag mal, Silvio, wie spricht man eigentlich über uns, nachdem James Bartoni zum Kardinalpräfekten ernannt wurde?»
Silvio leckte zunächst voller Andacht den Löffel ab, auf dem noch ein kleiner Rest der köstlichen Zuppa inglese klebte. Dann antwortete er in seiner direkten Art:
«Zu viele Amerikaner.»
John nickte, denn nach William als Sekretär und ihm selbst als Leiter der Informationsabteilung war auch noch der Chef der mächtigsten und ältesten Kongregation ein Amerikaner. Dem alteingesessenen italienischen «Kurienadel» war das sicher ein Dorn im Auge.
Ehe sich Silvio den nächsten Löffel Nachspeise in den Mund schob, ergänzte er:
«Obwohl du, William und auch der Kardinal italienischer Herkunft seid, hält man euch doch für ungehobelte, amerikanische Rambos.»
Diesen Rambos wollte Battista nicht das Feld überlassen. Vielmehr würde er auf die altbewährte Taktik setzen, Probleme durch die gewaltige PR-Maschinerie zu lösen, die ihm zur Verfügung stand.
Wenn aber Johns Informationen stimmten, und er hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, reichte es diesmal nicht, ein paar Falschinformationen zu streuen und das eine oder andere Gefälligkeitsgutachten zu präsentieren.
Battista klappte den vor ihm liegenden Aktendeckel auf, warf einen Blick hinein und sagte voller Sarkasmus:
«Die meisten Anwesenden werden sich noch erinnern, dass der Vorgänger unseres verehrten John di Lucca, der seinen Posten leider nach kurzer Zeit aufgeben musste, ebenfalls den Untergang der Mutter Kirche prophezeite, als vor einigen Jahren der Sarg des Herrenbruders Jakobus auftauchte.»
Natürlich verstand John die fast unverhohlene Drohung, dass man im Vatikan schnell seine Stellung verlor, wenn man sich nicht den seit jeher geltenden Regeln unterwarf.
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