Im Antlitz des Herrn
Gefährlicher schien ihm im Moment aber die Heiterkeit, die Battistas Äußerung bei den meisten anderen in der Runde auslöste. In den unzähligen Tagungs- und Versammlungsräumen des Kirchenstaates schlug die Atmosphäre konzentrierten Arbeitens oft innerhalb von Sekunden in die Ausgelassenheit einer Männerrunde um, bei der man sich gegenseitig Anekdoten über bestandene Abenteuer erzählte. Ihm schoss ein Gedanke durch den Kopf, den er sofort wieder verdrängte: Lag es daran, dass im Vatikan die Frauen fehlten, die eine solche Männerkumpanei mit sachlicher Argumentation im Keim ersticken konnten?
«Und», kam Battista triumphierend zum Ende, «spricht heute noch jemand von dieser Angelegenheit»?
«Nein.» John sprach ein bisschen lauter und hob die Fersen leicht vom Boden, um seine mit einem Meter fünfundachtzig ohnehin nicht kleine Gestalt noch ein wenig größer erscheinen zu lassen.
«Aber es spricht nur deshalb niemand mehr davon, weil wir alles getan haben, die Sache aus der Welt zu schaffen.»
Battista gab sich immer noch nicht zufrieden, sondern erhob sich jetzt ebenfalls von seinem Platz:
«Doch ohne die Taschenspielertricks der Geheimdienste, die ihr Amerikaner uns so gerne beibringen wollt. Wir haben die ‹Sache›, wie Sie es nennen, mit den gleichen Mitteln aus der Welt geschafft, mit denen wir jede Bedrohung der letzten zweitausend Jahre beseitigt haben. Mit den Mitteln des Verstandes und den Mitteln des Glaubens.»
William Legado hatte der Auseinandersetzung schweigend zugehört. Jetzt hob er beschwichtigend die Arme:
«Bitte, liebe Brüder, setzt euch, damit wir zu einer sachlichen Debatte zurückfinden können.»
Augenblicklich kamen John und Battista der Aufforderung nach. Als Erzbischof stand Legado in der Hierarchie weit über allen Teilnehmern dieses Treffens und hatte deshalb auch die absolute Autorität.
Während er wieder Platz nahm, sah John aus dem Augenwinkel, wie Battista enttäuscht, vielleicht sogar etwas verächtlich, die Miene verzog. Sein Manöver, die Diskussion mit dem Hinweis auf eine ähnliche Affäre gleich zu Beginn zu beenden, hatte nicht funktioniert. Legados Kritik an einem unsachlichen Diskussionsteil konnte Battista nur auf sich selbst beziehen.
Bischof Legado setzte seine Brille ab und blickte freundlich lächelnd in die Runde.
«Zunächst sollten wir John di Lucca und seinen Männer danken für ihre hervorragende Arbeit. Es ist wichtig, dass wir frühzeitig darüber informiert sind, dass sich in wenigen Wochen eine öffentliche Debatte ergeben könnte, deren Kontrolle von immenser Bedeutung für die gesamte Christenheit ist.»
«Entschuldigung, Exzellenz, aber es geht um weit mehr als eine akademische Debatte.»
John hielt es erneut nicht auf seinem Stuhl, Legado deutete sein Missfallen aber nur durch ein leichtes Anheben der linken Augenbraue an.
«Wenn es stimmt, was wir vermuten, dann löst dieser Fund ein Erdbeben in der öffentlichen Meinung aus, das wir nicht so problemlos stoppen können. Sie wissen alle, dass wir diesen Briten seit Jahren beobachten. Schon lange fürchten wir, dass er eine wahnwitzige Kampagne gegen die Kirche und den Glauben plant.»
John setzte sich langsam auf seinen Stuhl und erwartete Battistas Erwiderung. Ehe dieser zu reden begann, ergriff Giuseppe Lamberti das Wort.
«Ich verstehe nicht ganz, John, was Sie uns sagen wollen.»
Lamberti war der älteste in der Runde, er feierte bald seinen achtzigsten Geburtstag. In der Kurienhierarchie spielte er als Mitglied des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft keine Rolle, trotzdem hatte seine Stimme einiges Gewicht. Er galt als integrer Wissenschaftler, und Gerüchte besagten, dass er direkten Zugang zum Heiligen Vater habe.
Er war sichtlich erregt, was er zu verbergen suchte, indem er so leise sprach, dass er kaum zu verstehen war. Seine Hand zitterte, als er die rote Mappe mit Johns Ausführungen in die Höhe hielt.
«Von welcher Bedrohung sprechen Sie in diesem Papier eigentlich? Das, was Sie anscheinend für eine Tatsache halten, kann nur die Erfindung eines irre geleiteten Geistes sein.»
Lamberti richtete seine leicht gebeugte Gestalt in einer drahtigen Bewegung auf und fuhr in einer Lautstärke fort, die man ihm gar nicht zugetraut hätte:
«Oder wollen Sie behaupten, dass die Heilige Schrift in ihrer entscheidenden Passage lügt?»
John wusste, dass er in diesem Moment die Auseinandersetzung verloren hatte. Das Schweigen der übrigen Männer im Raum
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