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Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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feinen Besen vom Staub.
    «Sie können doch Aramäisch, Professor?»
    Engel ging mit den Augen dicht an den Stein heran. Die Schrift war nicht sorgfältig ausgeführt, möglicherweise hatte der Schreiber nur schnell vermerken wollen, wessen Gebeine sich in diesem Kasten befanden. Trotzdem konnte Engel die Gravur ohne Probleme entziffern, denn es handelte sich um den häufigsten Namen dieser Zeit: Josef.
    Henderson suchte bereits das nächste Ossuar nach einer Inschrift ab, ohne Erfolg, was Engel lakonisch kommentierte:
    «Längst nicht alle wurden mit dem Namen des Toten beschriftet. Es gibt auch keine erkennbare Logik, wann man den Namen einritzte und wann nicht. Hier steht aber wieder etwas.»
    Engel hatte diesmal mehr Mühe, den Namen zu entziffern, denn der Schreiber hatte unsauber gearbeitet.
    «Salome», brachte er schließlich langsam hervor.
    «Und hier?»
    Auch Henderson war erneut fündig geworden.
    «Sehr leicht zu lesen», sagte Engel schon nach wenigen Sekunden. «Eindeutig Simon.»
    Nachdem sie die nächsten beiden Truhen vom Staub befreit hatten, fanden sich keine Inschriften. Dann hatte Henderson wieder Erfolg, und Engel entzifferte die stark verwitterten Buchstaben schließlich als Maria.
    «Fangen Sie gar nicht erst an zu glauben, es handele sich um die Maria und den Josef», scherzte Engel.
    Henderson antwortete gelangweilt:
    «Ich weiß, ich weiß, bei den Männern war Josef der gebräuchlichste Name und bei den Frauen Maria.»
    Er wischte gerade eine neue Inschrift frei. Als sollte Engels Aussage bestätigt werden, kam wieder der Name Maria zum Vorschein. Er rieb noch ein bisschen am Stein herum.
    «Da steht noch ein Zusatz, allerdings schwer zu lesen. Leuchten Sie mir mal.»
    Henderson nahm eine Stablampe zur Hand und beleuchtete die nur schwach sichtbaren Buchstaben. Engel pfiff durch die Zähne.
    «Jetzt wird es interessant.»
    «Nun spannen Sie mich nicht auf die Folter», schimpfte Henderson.
    «Maria», Engel konnte sich eine bedeutungsvolle Pause nicht verkneifen, «Frau des Josef.»
    Henderson atmete schwer. Zwei Ossuarien hatten sie noch nicht untersucht. Der Engländer stürzte sich sofort auf eins, und auch Engel konnte nicht verbergen, dass er emotional aufgeladen war. Er machte sich sofort über den zweiten staubigen Kasten her.
    «Nichts, leer», stöhnte Henderson.
    Engel hatte eine Inschrift freigelegt und versuchte, sie zu entziffern. Sie war stark verwittert, vor allem im hinteren Teil, denn sie enthielt wie die letzte «Maria» einen erläuternden Zusatz. Den Namen hatte er schnell entschlüsselt: Judas. Aber was folgte danach? Buchstabe für Buchstabe tastete er sich vor. Judas, Sohn von ... Er fuhr mit den Fingern über die kaum noch zu erkennenden Buchstaben. Wie ein Blinder versuchte er, ihren Sinn zu ertasten. Halblaut las er vor:
    «Judas, Sohn von Jesus.»
    Augenblicklich trat Stille ein. Henderson fing sich zuerst.
    «Moment, Moment», stammelte er, «wir haben hier einen Josef und seine Frau Maria. Salome, Simon und die andere Maria könnten ihre Kinder sein. Und wenn es ein Familiengrab ist und hier ein Judas, Sohn des Jesus, bestattet wurde, dann müsste dieser Jesus Teil der Familie sein, vielleicht ist er der Bruder von Simon, Salome und Maria. Genau wie ...» Henderson versagte die Stimme.
    Engel nutzte die Pause und warf barsch ein:
    «Wenn es so ist, und die Betonung liegt auf wenn . Wir wissen ja gar nicht, ob die Menschen hier überhaupt miteinander verwandt sind.»
    Hendersons Antwort kam postwendend:
    «Wir wissen es noch nicht. Die Betonung liegt auf noch nicht . Es ist garantiert genug genetisches Material in diesen Kästen, um die Verwandtschaftsverhältnisse in diesem Grab zu klären.»
    Engel stockte der Atem. Henderson hatte also vor, die Ossuarien außer Landes zu bringen, und das hieß, sie zu stehlen. Eine DNS-Analyse auf dem offiziellen Weg in Israel zu beantragen, konnte man sich schenken. Im günstigsten Fall bekam man nach einem oder zwei Jahren winzigste Mengen Materials ausgehändigt. Wenn es für die Analyse reichte, konnte man immer noch nicht hundertprozentig sicher sein, ob es auch aus dem Fund stammte, den man untersuchen wollte. In der Regel wurden derartige Anfragen indes ohne Begründung abgelehnt.
    Engel wollte gerade gegen Hendersons Pläne protestieren, als zwei Arbeiter das Ossuarium aus der geheimnisvollen, verborgenen Kammer ins Freie trugen. Auf den ersten Blick unterschied es sich von den anderen, denn es war aufwendig

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