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Im Auge des Feuers

Im Auge des Feuers

Titel: Im Auge des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorun Thoerring
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Stellen fast bis zum Ufer. Die Insel hüllte sich in verschiedene Nuancen von Weiß, Grau und Blau. Alles war still, selbst das Wasser des Sundes kräuselte sich kaum in der schwachen Brise. Einzig der bleigraue Rauch über dem Hafen bewegte sich. Er quoll von den Holzhäusern auf wie aus einem Vulkan. Kaskaden dunkelgrauer Massen breiteten sich über den weißen Berghängen aus und verdecktensie. Ein Inferno in Grau und Schwarz, das von einem intensiv orangen Flammenteppich aufstieg.
    Mit immer größerer Kraft leckte das Feuer an dem zundertrockenen, mehrere hundert Jahre alten Holz der umliegenden Bebauung. Ein leichter Wind trieb den Rauch nach Norden.
    Auf den Straßen herrschte aufgeregtes Treiben. Die Sirenen der Feuerwehrautos vermischten sich mit denen des Zivilschutzes. Hier waren so viele Privatfahrzeuge unterwegs wie sonst nur im morgendlichen Berufsverkehr.
    Karl schwang sich aufs Fahrrad und fuhr ins Zentrum, hinunter zum Hafen. Betont sachlich wandte er sich an einen dort stehenden Polizisten. »Ich muss durch die Absperrung. Mein Vater ist Hausbesitzer.«
    Der Polizist schien ihn zu erkennen und nickte zögernd.
    In großen Teilen des Stadtzentrums und des nahe gelegenen Hafengebiets knisterte und prasselte das Feuer, die Farbe platzte von den Hauswänden und der Asphalt warf bereits Blasen. In einem seltsam unbeteiligten Gemütszustand verfolgte Karl, wie die Flammen ihren zerstörerischen Marsch die Hauswände hinauf fortsetzten.
    Karl entdeckte seinen Bruder und seine Schwester auf der anderen Straßenseite. Johan und Rita standen dort drüben wie angewurzelt und starrten auf den Brand. Karl zog sich rasch zurück und hastete weiter.
    Die Hitze war durchdringend, als er an den brennenden Häusern vorbeieilte. Hinunter zum Hafen, vorbei an rotbraunen Geräteschuppen und Werkstattgebäuden, einige von ihnen wirklich alt und noch aus Rundstämmen erbaut. An der Ecke bei O. L. Aunes Metzgerei bog er von der Sjøgata in das Gässchen hinunter zum Hafen. Niemand war zu sehen, alle hatten das Weite gesucht.
    Auch aus den nächsten Gebäudezeilen schlugen Rauch und Flammen empor. Alles brannte bereits lichterloh.
    Ihr Lagerhaus war abgebrannt. Die Hitze war enorm.
    Karl bahnte sich einen Weg zurück zum Bürogebäude und fischte den Schlüssel zum Haupteingang aus der Tasche.
    Der wohlbekannte Geruch, eine Mischung aus Fisch, altem Holz und Feuchtigkeit, fehlte völlig. Rauchgestank von draußen war auch hier massiv eingedrungen.
    Karl sah sofort, dass das Haus nicht leer war. An einem Haken hing die Jacke eines der Angestellten, des Buchhalters Oscar Wikan, zusammen mit dessen schwarzer Schirmmütze.
    Karl ging zu dem Büro, in dem er selbst gewöhnlich saß. Zu seiner Verwunderung stand die Tür offen. Ein großer, heller Raum, eine Wand voller Familienbilder und an der anderen ein braunes Ledersofa. Aus dem breiten Fenster konnte man auf den Eingangsbereich und auf die Straße hinuntersehen.
    Von seinem Büro aus hörte er draußen Rufe und Stimmen, Lärm, der sich mit Autohupen und Motorengedröhn mischte. Die Geräusche wurden mal lauter, mal leiser.
    Karl bemerkte ein eigenartiges Rauschen in den Ohren und fragte sich einen Moment lang, wie viel Sauerstoff wohl schon aus dem Zimmer entwichen sein mochte. Der Rauchgeruch wurde immer penetranter. Karl atmete tief ein und spürte ein Brennen in Nase und Augen. Nun kam es darauf an, dass er sich auf sein Vorhaben konzentrierte.
    Er zog der Reihe nach alle Schubladen auf, öffnete den mit Papieren und Dokumenten gefüllten Aktenschrank. Alles lag wirr durcheinander. Wikan hatte bereits darin herumgewühlt. In Karl stieg Wut auf. Seine Hände waren steif und ungelenk. Der Gedanke an den schrecklichen Brand in den angrenzenden Gebäuden machte ihn zusätzlich nervös und hektisch. Aber er musste diese Sache zu Ende bringen, der Zeitpunkt war entscheidend für seine Zukunft.
    Sein Vater glaubte, Karl sei hierhergefahren, um wichtige Unternehmensdokumente zu retten.
    Ich muss dich bitten, hineinzugehen und die Büros zu überprüfen, Karl. Ich sollte eigentlich selbst gehen, um ganz sicher zu sein. Aber nicht mit diesem Asthma bei all dem Rauch. Deshalb musst du ran, bitte. Versuche es … Gib dein Bestes …
    Bruchstücke aus dem Telefonat von vorhin und aus früheren Gesprächen schwirrten in Karls Kopf herum.
    Den Umschlag hatte er auf dem Boden einer unverschlossenen Schublade versteckt, zwischen den Seiten eines Exemplars von ›Wir Männer‹. Die

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