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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sarkey
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Schrauben. Und ein Fahrtenmesser mit einer zehn Zentimeter langen Klinge. Tom hob das Messer mit zwei Fingern auf. Eigentlich hatte er an den Hammer gedacht, aber das hier war noch besser – schneller zu handhaben und leichter zu verbergen. Leise schloss er den Deckel des Werkzeugkastens.
    Wieder ein Geräusch aus dem Flur. Tom fuhr in die Höhe. Er brauchte eine Weile, um das vertraute Ploppen und Sprudeln einzuordnen. Jack hatte sich also ein Bier geholt, als wäre es das Normalste der Welt. Tom staunte über die unglaubliche Wut, die plötzlich in ihm aufstieg – ein kompromissloser, hundertprozentiger Hass auf so viel Arroganz. Offensichtlich hatte ihn der Kerl längst abgeschrieben, wie das reinste Nichts.
    Mit verkniffenen Lippen hinkte Tom die paar Schritte zurück zum Sessel, klappte das Messer auf und steckte es behutsam in die rechte Hosentasche. Dann setzte er sich hin, schloss die Augen und wartete. Ja, Jack hatte ihn am Boden gehabt – aber deshalb war er noch lange kein Nichts.
    Jack nahm einen großen Schluck Old Style Beer. Das Gesöff glitt angenehm kühl durch seine Kehle. Er warf einen Blick auf die Uhr: bald sechs. Die Frau würde gleich nach Hause kommen. Er war beinahe fertig.
    Als er den Flur hinunterschlenderte, bemerkte er, dass Tom Reed immer noch im Sessel lag. Aber seine Haltung hatte sich ein wenig verändert, und er atmete nicht mehr so gleichmäßig wie ein Bewusstloser. Seine rechte Hand war glühend rot angelaufen, zerfetztes Fleisch leuchtete unter verkrustetem Blut. »Bist du wach?«, fragte Jack.
    Der Typ antwortete nicht, aber seine Lider zuckten. »Doch, doch, du bist wach.« Jack schlenderte an ihm vorbei zum vorderen Fenster und blickte hinaus auf die ruhige Straße. Wirklich ein hübscher Flecken. Altmodische Ziegelbauten, meist zweistöckig, dazwischen ein paar Bungalows. Überall Bäume, und trotzdem mittendrin im Stadtleben, mit Restaurants und Bars in Gehweite. Die Gassigeher lächelten sich zu und blieben stehen, um miteinander zu plaudern. »Was ich mich schon immer gefragt habe, was kostet so ein Häuschen eigentlich?«
    Lang anhaltende Stille. »Wollen Sie mich verarschen, oder was?«, sagte Tom schließlich.
    »Wie bitte? Denkst du, ich muss nicht irgendwo wohnen?« Jack drehte sich um, ging zur Tür und entriegelte sie. »Wie viel?«
    »Keine Ahnung.«
    »Keine Ahnung? Aber das Haus gehört dir doch, oder?«
    »Ja.«
    »Also, wie viel?«
    Mit der rechten Hand rieb sich Tom die Stirn. »Die Straße runter bieten sie ein Haus für fünfeinviertel an.«
    »Eine halbe Million Dollar.« Jack stieß einen Pfiff aus und strich mit der Handfläche über die hölzerne Zierleiste an der Wand. »Weißt du, das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, hat meinen Dad dreißig Riesen gekostet oder irgendwas um den Dreh. War nicht gerade geräumig, eine kleine Bude in der Nähe der Archer Avenue. Der Garten so groß wie ’ne Briefmarke, das Dach ganz schief. Ich musste mir ein Zimmer mit meinem Bruder teilen bis … verdammt, bis ich ausgezogen bin.« Er trank einen Schluck Bier. »Aber damals war es schon ’ne große Sache, dass er sich überhaupt ein Haus leisten konnte. Die meisten Polacken mussten zur Miete wohnen.«
    »Was haben Sie vorhin gemeint? Als Sie gesagt haben, dass Anna weiß, wo das Geld ist?«
    Jack lehnte sich an die Wand. »Na ja, zwei Leute verstecken was, und dann wundert sich der eine, dass es verschwunden ist?« Er zuckte die Schultern.
    »Das würde sie niemals tun.«
    »Ich hoffe für dich, dass du falschliegst.« Jack rollte die Schultern, um seine Muskeln zu lockern. Diese langgezogenen Jobs gingen einem immer an die Substanz. Viel zu viel Potenzial für irgendwelche Pannen. Plötzlich schaut ein Nachbar zum Fenster herein, plötzlich entwickelt ein Zivilist ein Rückgrat – man durfte sich nie sicher fühlen. Dreiundvierzig war er jetzt und konnte sich längst nicht mehr an all die Jobs erinnern, die er schon erledigt hatte. Es war Zeit, endlich aufzuhören. Sobald er und Marshall das Geld aufgeteilt hätten, würde er nach Arizona gehen – vielleicht war Eli ja immer noch an einem Teilhaber für seine Bar interessiert. Jack nahm sein Handy vom Gürtel und klappte es auf. Immerhin hatte es hier guten Empfang. »Ich weiß, das ist nicht schön. So was will man gar nicht glauben. Aber es ist schon erstaunlich, wie Geld die Menschen verändern kann. Sogar die, denen man vertraut.«
    »Wenn Anna wirklich weiß, wo das Geld ist …« Der Typ zögerte.

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