Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
Vom Netzwerk:
aufgeklärt – damit hatte er es geschafft. Das volle Programm wartete auf ihn: Lobeshymnen in der Presse, Belobigungen und Empfehlungen, Freistellung von jeglicher Drecksarbeit, Förderer in der Chefetage, eine kräftige Gehaltserhöhung. Er würde sich mit einer dicken Rente zur Ruhe setzen, seine Blockhütte kaufen und den Rest seines Lebens mit Büchern und Waldspaziergängen verbringen, weit weg von der Stadt und all den Wahnsinnigen, die sich darin tummelten.
    Halden fummelte eine weitere Zigarette aus der Tasche – normalerweise beschränkte er sich auf zwei pro Tag, aber Siegeszigaretten zählten nicht. Er zündete sie an und nahm einen tiefen Zug. Das Gekreisch der Möwen vermischte sich mit dem Geräusch eines abfahrenden Autos.
    Annas Schwangerschaft erklärte so einiges. Halden hatte sich immer wieder gefragt, warum sie sich das Geld eigentlich unter den Nagel gerissen hatten – wenn er ehrlich war, hatte er sich direkt darüber geärgert. Denn es war schlicht dumm, so verführerisch ein Haufen Hunderter auch sein mochte. Damals, als sie um den Küchentisch saßen und Kaffee tranken, hatte er versucht, ihnen genau das begreiflich zu machen. Aber wenn es um die eigenen Kinder ging, waren die Leute zu den verrücktesten Entscheidungen imstande. Trotzdem, schon komisch, dass Anna ihre Schwangerschaft nie erwähnt hatte, nicht mal als sie von Jacks Überfall erzählte, von den Schlägen, die er ihr verabreicht hatte. Man sollte doch meinen, dass sie dabei zuerst an die Gesundheit ihres Babys dachte, oder? Und wie war das nochmal, eigentlich sollten Schwangere doch keinen Kaffee trinken?
    Andererseits hatte er in seinem Job oft genug mit verantwortungslosen Eltern zu tun. Er hatte schon so manche Mutter kennengelernt, die ihr Haushaltsgeld durch die Crackpfeife inhalierte.
    Trotzdem. Halden drehte sich um. Der Eingang zu den Toiletten lag auf der anderen Seite der Imbissbude. Und dahinter, knapp hundert Meter weiter, war der Parkplatz.
    Er warf die halbgerauchte Zigarette in den Sand und ging los. Mit jedem Schritt beschleunigte er, bis seine Lederschuhe im Stakkato über den Asphalt trommelten. Schließlich umrundete er die Ecke des Gebäudes und stand vor den Toiletten.
    Die Tür war verschlossen. Ein stabiles Vorhängeschloss sicherte den Riegel.
    »Nein, nein, nein«, fauchte Halden, wirbelte herum und starrte auf den Parkplatz. Jetzt fiel ihm auch wieder das Motorengeräusch ein – da war ein Auto davongefahren.
    Eine erdrückende Schwere legte sich auf seine Schultern. Es war aus. Nein, er würde das Ehepaar Reed nicht seinen staunenden Kollegen präsentieren können. Er würde nicht als heldenhafter Retter in der Not auftreten, als Super-Detective, der die passenden Antworten auf sämtliche Fragen hatte. Tom und Anna Reed befanden sich auf der Flucht, wahrscheinlich hatten sie schon fast die Stadt verlassen. Er hatte keine Wahl mehr – er musste die Kavallerie rufen und alle Folgen in Kauf nehmen. Halden seufzte und kratzte sich an der Stirn.
    Was hatte die beiden überhaupt so plötzlich verschreckt? Okay, Tom hatte sich wegen des Anwalts Gedanken gemacht, aber Halden konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie deshalb gleich abhauen würden. Und Anna hatte mit ihrer Schwester –
    Moment.
    Er sprintete zum Auto, ein einziges Ziel vor Augen: die Mappe, die Lawrence Tully ihm im Steakhouse gegeben hatte, die Mappe mit allen relevanten Informationen über die Reeds – Kontoauszüge, Rechnungen, Bonität. Und die Adressen der Angehörigen.
    Scheiß auf die Kavallerie. Er konnte es immer noch schaffen.
     
    »Bitte«, wimmerte die Schwester, »bitte, er hat Angst.« Selbst in dem trüben Licht, das durch die heruntergelassenen Rollos drang, erkannte Jack ihre aufgerissenen Augen, groß wie in diesen japanischen Comics.
    Sie tat ihm leid, wirklich. Nie im Leben würde er einem Baby wehtun, aber das konnte sie natürlich nicht wissen, und er wollte sich gar nicht vorstellen, was sich jetzt in ihrem Kopf abspielte – die brennende, ätzende Panik, die sie aushalten musste. Aber egal, das war nun mal sein Job, und bisweilen war sein Job eben nicht schön. Jack legte das Telefon weg. »Das war gut«, sagte er, »das hast du gut gemacht.«
    Im Nebenraum krachte es, als wäre ein Haufen Töpfe auf den Boden gefallen. Jack hörte Marshall fluchen.
    Die Frau zuckte zusammen. »Bitte«, wiederholte sie und trat einen Schritt vor, streckte die Arme aus. Ihre Finger zitterten, ihre Haut war

Weitere Kostenlose Bücher