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Im Bann der Engel

Im Bann der Engel

Titel: Im Bann der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Gref
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Eine Ratte huschte über den Asphalt. Jeremias angelte umständlich nach seiner Taschenuhr, aber auch das Öffnen des Deckels misslang.
    »Diese Schlampe, die kriegt mein Casino nicht. Die nicht!« Kurzfristig schöpfte er Kraft aus seinem Hass und setzte einen Fuß vor den anderen. Ein Geräusch ließ ihn innehalten. Zuerst fiel es ihm schwer, es einzuordnen, doch dann erinnerte er sich an den Sommerausflug mit Linda. Seine Verlobte besaß eine sehr zarte Haut und Jeremias musste immer ein Sonnensegel aufspannen, wenn sie sich im Freien aufhielten. So hatte das Geräusch geklungen. Wie das Auseinanderfalten des gewachsten Leinentuchs.
    Er sah sich ängstlich um. Wieder glaubte er ein Rauschen hinter sich zu hören. Doch auch der zweite Blick, einmal um seine eigene Achse, zeigte ihm, dass niemand dort war, sogar die allgegenwärtigen Ratten hatten sich verkrochen.
    In diesem Moment verflog alle Trunkenheit und Todesangst erfasste seine Eingeweide. Jeremias Redcliff schritt schneller aus, dann rannte er. Er blickte hinter sich. Niemand folgte ihm. Doch weil er versäumte den Himmel abzusuchen, sah er den Hieb nicht kommen, der seinen Kopf sauber von den Schultern trennte.

Kapitel 1

    »Es ist eine Schande«, plapperte Sophia und zog den Kamm fester durch Madame Hazards Haar. »Wer wird die Spielbank leiten, jetzt, wo Mister Redcliff tot ist? Nicht, dass ich ein solches Haus jemals betreten würde, aber …«
    »Dummes Ding«, fuhr Madame Hazard ihre Bedienstete an. »Willst du mir jedes Haar einzeln ausreißen? Davon abgesehen ist es nicht schade um diesen Taugenichts, er bekam, was er verdiente.«
    Sophia errötete und tauschte den Kamm gegen die Bürste, die ihre Herrin bevorzugte. Die Borsten waren weich und verliehen dem feuerroten Haar einen mahagonifarbenen Schimmer.
    »Du bist seit vier Wochen in meinen Diensten und warst noch nicht ein Mal aus.« Madame Hazard fixierte Sophia im Spiegel. Selbst das schlichte Kleid der Dienstbotin unterstrich die schlanke Statur mit ihren sanften Rundungen. »Mich würde interessieren, ob du es schon einmal getan hast.«
    »Was getan, Madame?«
    »Dich von einem Mann nehmen lassen.«
    Sophias Gesicht nahm die Farbe frischer Erdbeeren an.
    »Also nicht«, folgerte Madame und klatschte zweimal in die Hände. »Dann wird es aber Zeit. Vielleicht lernst du danach, deine Hände sanfter einzusetzen. Es ist nicht zu fassen, welche Schmerzen du mir mit einem simplen Kamm bereitest.«
    Sophia knickste und senkte verschämt den Blick.
    »Der Mann, den du gleich kennenlernen wirst, ist mein Willkommensgeschenk an dich. Du bist lange genug in meinem Haus, um die Wahrheit zu erfahren. Ich hoffe, du hast den starken Charakter, den ich in dir vermute.« Sophia hob den Kopf und sah einen großgewachsenen Mann mit nacktem Oberkörper eintreten, der Madame Hazard ein unterwürfiges Lächeln schenkte. Er trat näher. Niemand sprach ein Wort. Selbst, wenn Sophia etwas hätte sagen wollen, sie konnte es nicht. Über den Rücken des Mannes ragten Flügel, die geformt waren, wie die der Engel, die Sophia von alten Gemälden kannte. Dennoch unterschieden sie sich, denn die des Mannes bestanden aus einem silbrigen Metall mit filigranen Verzierungen. Sie flößten Sophia Angst ein, die noch geschürt wurde, als der Mann aufhörte zu lächeln und ihr einen Blick zuwarf. Ein grausamer Zug legte sich um seinen Mund.
    Madame Hazard stellte sich an die Seite des Mannes und umfasste seine Taille.
    »Sophia, das ist Marcellus. Ist er nicht wunderschön? Er wird dir zeigen, was du bisher versäumt hast. Und ich möchte wetten, dass du viel Nachholbedarf hast. Wie alt bist du, mein Kind?«
    »Neunzehn«, flüsterte Sophia unterwürfig.
    Madame Hazard kicherte. Marcellus musterte Sophia nach wie vor ungerührt.
    Sophia hatte sich oft ausgemalt, wie ihr erstes Mal sein würde. Ein liebevoller reicher Mann, der sie verwöhnte und um sie buhlte, bis sie sich ihm schließlich nach angemessener Zeit hingab. Dieses groteske Wesen gehörte nicht in ihre Fantasie.
    »Er hat Flügel. Wie ist so etwas möglich?«, wandte sie sich an ihre Herrin.
    »Dreh dich um Marcellus, damit sie dich ansehen kann.«
    Gehorsam kehrte der Mann Sophia den Rücken zu. Sie sah, dass die Flügel mit seinem Fleisch verwachsen waren. Dicke narbige Wülste zogen sich rund um deren Wurzeln und zeugten von einer oft aufgerissenen Verletzung. Dort, wo die Wirbelsäule verlief, schimmerten schwärzliche Adern durch die Haut. Sophia streckte die

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