Im Bann der Leidenschaften
hinterher. „Ist es der weiße?“ Fragend, mit einer Fingerspitze an meinem Sommermantel, sieht er mich an.
Ich nicke stumm. Der für dieses Wetter geeignetere Mantel hängt oben in meinem begehbaren Schrank, aber ich will nicht, dass Jerôme in meinen Intimbereich eindringt. In keiner Hinsicht.
Mit meinem Mantel über dem Arm kehrt Jerôme zurück, legt mir seinen freien Arm um die Taille und führt mich aus der Wohnung heraus. Erst jetzt entdecke ich den Rollstuhl, der neben der Tür steht.
„Wo hast du denn den her?“ Ich bin vollkommen baff.
„So etwas haben wir im Hotel. Setz dich.“
Er wirft meinen Mantel über die Lehne des Rollstuhls und umschlingt mich ganz. Ich schnappe heftig nach Luft, als er mich vorsichtig auf den Stuhl hebt.
„Geht es?“, fragt er besorgt.
Ich nicke. Jerômes Gesicht ist direkt neben meinem, es fehlen nur wenige Millimeter, damit sich unsere Wangen berühren. Doch schon im nächsten Moment richtet er sich auf und schiebt mich in den Aufzug.
„Wir fahren ins Pitié-Salpêtrière. Bernard, ein guter Freund, du hast ihn auf der Party bei Charlie kennengelernt, ist ein ausgezeichneter Chirurg, und er kennt sich mit Füßen aus“, sagt Jerôme, als er mich auf den Beifahrersitz des BMW verfrachtet, mit dem er und Mel uns gestern Abend vom Flughafen abgeholt haben.
Ich kann mich an keinen Bernard erinnern, aber damals hatte ich auch nur Augen für Philippe. Lichtjahre scheinen seitdem vergangen zu sein. Und auch die Flitterwochen kommen wir vor wie ein lang zurückliegender Urlaub, an den man sich ungern erinnert. Trotzdem sollte jetzt eigentlich Philippe mich zum Arzt begleiten.
Schweigend lenkt Jerôme seinen beeindruckenden BMW über den Quai d’Austerlitz. Ich kann es mir nicht verkneifen, hin und wieder verstohlen auf Jerômes Profil zu blicken, während wir, parallel zur Seine, Richtung Osten fahren. Warum tut er all das für mich? Und warum zeigt Philippe nicht die geringste Spur von Eifersucht? Er weiß doch, dass ich ihn mit Jerôme betrogen habe. Macht ihm das denn gar nichts aus? Ich würde verrückt werden, wenn Philippe die Spanierin in die Klinik führe.
Meine Gedanken werden jäh unterbrochen, als Philippe die Freisprechanlage einschaltet.
„Bonjour Bernard. Jerôme hier. Wir sind in fünf Minuten da.“
„Ich komm selbst hinunter. Zur Ambulanz. Du weißt, wie du fahren musst?“
„Ja.“
Damit ist das Gespräch beendet und mit einem Mal spüre ich wieder meinen Fuß. Er pocht so sehr, dass mir die Tränen in die Augen schießen.
„So schlimm?“, fragt Jerôme besorgt.
Ich nicke und beiße mir auf die Unterlippe. Der Fuß, meine Ehe und die Tatsache, dass ich hier neben diesem Mann sitze. Alles ist so schlimm.
Als ich den kräftigen Mann in dem weißen Kittel entdecke, der uns bereits vor der Ambulanz erwartet, erinnere ich mich. Er war auf meiner Hochzeit zu Gast gewesen, beim Essen hat er zwei Tische von uns entfernt gesessen, zusammen mit einer hübschen, hochschwangeren Brünetten.
„Schön, dich wiederzusehen, ist unter diesen Umständen wohl nicht die passende Begrüßung.“ Bernard drückt mir die Rechte, ehe er mir forschend in die Augen sieht und dann sofort den Rollstuhl übernimmt.
Während ich über mehrere hell geflieste Klinikgänge mit zartgelb gestrichenen Wänden geschoben werde, berichte ich Bernard, wie die Sache mit meinem Fuß passiert ist, und was bisher unternommen wurde, um den Fuß wieder in Ordnung zu bringen. Dann haben wir das Behandlungszimmer erreicht. Bernard und Jerôme heben mich gemeinsam auf eine Behandlungsliege, auf der ich mich mit ausgestreckten Beinen hinlegen soll.
Eine Schwester betritt den Raum, grüßt freundlich und wickelt den Verband von meinem Fuß ab. Immer wieder sieht sie schmachtend zu Jerôme, der hinter mir am Kopfende der Liege steht.
„Wo ist eigentlich Philippe?“, fragt Bernard, während er sich auf einen Rollhocker setzt und meinen Fuß vorsichtig anhebt. Mit gerunzelter Stirn betrachtet er die riesige Narbe, die sich der Länge nach über meine Fußsohle zieht.
„Er hat ein Foto-Shooting in Florida“, antworte ich.
Bernard sieht zu Jerôme auf. Mir ist, als entdeckte ich in dem sympathischen Gesicht des Arztes einen deutlichen Ausdruck des Missfallens.
„Ist er allein unterwegs?“ Bernard tastet vorsichtig mit den Fingern an der Narbe entlang. Sein Gesicht scheint höchst besorgt.
„Mit seinem Team, denke ich“, entgegnet Jerôme. „Was ist mit Annies
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