Im Bann der Leidenschaften
Quittung überlässt sie mir ein Paar Krücken.
Als ich mit Mel vor das Klinikgebäude trete, wartet Jerôme mit seinem BMW auf uns.
„Mel! Du solltest ein Taxi rufen!“
Entschuldigend zuckt Mel mit den Schultern. „Er liebt dich.“
Kapitel 21
Während Jerôme in der Küche etwas zu essen zubereitet, suchen Mel und ich das Schlafzimmer und Philippes begehbaren Kleiderschrank nach dem Seidenpapier-Päckchen ab. Mel zieht es schließlich aus der Sockenschublade heraus.
Andächtig balanciere ich es auf meinen ausgestreckten Händen.
„Auspacken!“, befiehlt mel. „Wer weiß, was da drin ist. Ein Hemd vielleicht, ein Geschenk von dieser Spanierin an Philippe.“
„Mel!“
„Erzähl mir nichts über die Männer! Mach das Papier vorsichtig auf. Wenn da tatsächlich ein Kleid drin sein sollte, kannst du es wieder verpacken und Philippe wird nichts bemerken. Wenn du nicht selbst zweifeln würdest, wärst du hübsch in dem Krankenbett geblieben. Also zier dich nicht, pack aus! Wenn du mich fragst, dann wärst du Schläge wert, wenn du es nicht tätest!“
Mit zitternden Fingern löse ich die feinen Klebestreifen, die das weiche Papier zusammenhalten. Ein falscher Griff und es zerreißt.
Vorsichtig wickele ich das Papier ab, das mehrfach um den leichten, weichen Inhalt geschlungen ist. Schließlich habe ich es geschafft. Ein glänzender, nachtblauer Stoff kommt zum Vorschein.
Mit spitzen Fingern ziehe ich den Stoff auseinander.
„Das ist ein Négligé“, stellt Mel richtig fest. „Es ist kein Kleid. Und es ist winzig.“
„Es ist wunderschön“, hauche ich. „Sieh nur die vielen kleinen Schildplattknöpfchen am Ausschnitt. Wie ein Sternenhimmel.“
„Stimmt“, knurrt Mel. „Zieh es an.“
„Ich kann es doch jetzt nicht anziehen. Jerôme wird gleich mit dem Essen fertig sein.“
„Annie“, Mel sieht mir erst in die Augen, „du wirst dieses Négligé niemals anziehen. In deinem ganzen Leben nicht. Ich verrate dir auch warum: Es hat nämlich höchstens Größe sechs. Damit ist es dir mindestens zwei Nummern zu klein! Der Fetzen ist nicht für dich bestimmt! Gib ihn mir.“
„Hey, pass auf!“, kreische ich. „Wenn das Hemdchen zerreißt! Wie soll ich das Philippe erklären? Mit meiner verdammten Eifersucht zerstöre ich auch noch den letzten Rest des Vertrauens zwischen Philippe und mir. Wozu habe ich mich wieder hinreißen lassen?“
Mel reißt mir das zarte Wäscheteil aus den Händen und hält es hoch. „Annie, sieh dir das, was du einen Sternenhimmel nennst, einmal von weitem an. Und dann sagst du mir, was du in den Sternen liest. Und dann begreif endlich, dass nicht du das schlechte Gewissen haben solltest, sondern Philippe!“
Wenige Minuten später werfe ich das dunkelblaue Seidennégligé auf die Kochinsel in Philippes Küche. „Was hat das zu bedeuten, Jerôme?“
Jerômes Augen verdunkeln sich.
„Und sag mir bloß die Wahrheit!“, fordere ich düster.
„Mach schon“, fordert auch Mel ihn auf. „Erklär ihr, dass dein Freund nicht der liebevolle Kerl ist, der er vorgibt zu sein! Sag ihr, was für ein mieses Spiel der Typ spielt! Ich lasse euch jetzt allein.“
Trotz meines lautstarken Protests, dreht Mel sich auf dem Absatz um und verlässt das Penthouse.
Es ist eine surreale Situation, allein mit Jerôme in Philippes Penthouse. Doch es ist, wie es ist. Ich kann es nicht ändern. Mit aller Macht unterdrücke ich die körperliche Anspannung, die sich stets in mir breit macht, sobald sich Jerôme in meiner Nähe aufhält.
Als Jerôme beharrlich schweigt, setze ich zu einer erneuten Tirade an: „Diese kleinen Schildplattknöpfchen bilden einen Schriftzug. Siehst du das? Céline. So heißt deine Schwester, nicht wahr? Und erzähl mir jetzt bitte nicht, du hättest diesen Fetzen in Auftrag gegeben! Denn so ist es nicht, oder?“
In mir macht sich eine fürchterliche Ahnung breit. All die Verwirrung, all die Vorwürfe, die ich mir gemacht habe wegen meines unmöglichen Verhaltens, all das erscheint mir plötzlich ein einem ganz anderen Licht.
Mit einer beinahe zeitlupenhaften Bewegung stellt Jerôme den Herd ab. Dann schluckt er so hart, dass ich es bis auf die gegenüberliegende Seite der Kochinsel hören kann. Im nächsten Augenblick kommt er auf mich zu.
„Nein, Jerôme“, platze ich heraus, „bleib, wo du bist!“
„Annie, lass mich zu dir kommen. Ich kann nicht …“
„Was kannst du nicht? Mir die Wahrheit sagen?“ Ich stütze meine Hände auf der
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