Im Bann der Ringe (German Edition)
Fenster, von dem aus sie den Garten einsehen konnte, legte ihre Zeichenmappe auf den Tisch, klappte den Block auf und spitzte ihren Bleistift an. Und dann zeichnete sie endlich an der Aufgabe, die Mr. Hoops der Klasse über die Ferien aufgetragen hatte – Paris im Winter. Als hätten Teenager im Sommer nichts anderes zu tun.
***
Wachsam legte Ric eine Hand auf das glatte Holz der Tür, verstärkte den Druck und öffnete sie langsam. Gespannt warf er einen Blick hinein.
Der Raum war, bis auf einen Platz direkt neben dem Fenster, leer. Ein Mädchen saß an dem Tisch, den Kopf über einen Block mit weißem Papier gesenkt, und zeichnete. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt und so nutzte er die Gelegenheit, um seine Gedanken zu sortieren und den Grund seiner Aufregung noch einen Moment aus sicherem Abstand zu betrachten.
Ihr Haar, halblang und in einem facettenreichen Rot, fiel ihr auf der ihm zugewandten Seite ins Gesicht, von dem er somit nichts erkennen konnte. Ihre Hände waren schmal, ihre Finger hielten einen Bleistift, der ununterbrochen über das Blatt fuhr. Sie trug Jeans und das Grün ihrer Bluse stand in einem starken Kontrast zu ihrer Haarfarbe. Die Beine hatte sie unter dem Tisch locker übereinander geschlagen und als sein Blick hinunter zu ihren Füßen wanderte, fielen ihm ihre ebenfalls grünen Chucks ins Auge. Ric wollte sie wirklich nicht erschrecken, aber ihre Konzentration auf die Arbeit vor ihr und die Stöpsel des MP3-Players in ihren Ohren verhinderten, dass sie ihn hörte. Sie nahm ihn erst wahr, als sein Schatten auf ihren Tisch fiel.
Ihr Kopf flog hoch. Ihre Blicke trafen sich und er sah, wie ihr in Sekundenschnelle das Blut aus dem Gesicht wich. Sie wurde leichenblass und er erkannte reines Entsetzen in ihren Augen. Einen Atemzug später rollte sie die Augen nach oben und wurde ohnmächtig …
Ric reagierte schnell. Er konnte sie gerade noch auffangen und verhindern, dass sie unsanft vom Stuhl kippte. Durch die ruckartige Bewegung ihres Armes fiel die Zeichenmappe vom Tisch und der Stapel Blätter verteilte sich auf dem Boden. Und eine dieser Zeichnungen kam ihm ungeheuer bekannt vor.
Aber jetzt hatte er keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. In seinem Armen lag ein Mädchen, das bei seinem Anblick ohnmächtig geworden war – das hatte oberste Priorität! Deshalb schob er das dumpfe Gefühl in seiner Magengrube vorerst beiseite. Vorsichtig hielt er ihren schlaffen Körper in seinen Armen und legte ihn sachte auf den Fußboden. Sie wirkte so zerbrechlich. Er hob ihre Beine auf den Stuhl. Schocklage. Vielleicht half es.
Das war ihm ja noch nie passiert! Es hatten sich schon einige Mädchen nach ihm umgedreht, er war auch schon mit einigen ausgegangen, aber noch nie war eine von ihnen bei seinem Anblick ohnmächtig geworden. War das nun gut oder schlecht? Wenn sie die mysteriöse Zeichnerin war, was er aufgrund der vor ihm liegenden Zeichnungen auf dem Boden annahm, war es wohl eher schlecht.
Selbst völlig verwirrt nahm er ihre kleine, kalte Hand in seine und rieb sie ein bisschen, in der Hoffnung, dass sie bald wieder zu sich kommen würde. Klar, Hand reiben. Bringt bestimmt was, Ric! Mann, bist du blöd! , hörte er eine schrille Stimme in seinem Hinterkopf feixen.
Halt die Klappe!, motzte er stumm zurück . Das ist bestimmt immer noch besser, als ihr ein paar Ohrfeigen zu geben, damit sie wieder zu sich kommt!
Langsam regte sie sich wieder. Ihre Augenlider flatterten und kurz darauf stöhnte sie.
„Hey! Alles gut?“, fragte er besorgt. Keine Antwort. Er kniete direkt neben ihr und hielt weiterhin ihre Hand fest. Sie fühlte sich gut an. Weich und mittlerweile auch warm.
Während sie langsam wieder zu sich kam, suchte sein Blick zwischen den verstreuten Blättern nach der Zeichnung, auf der ihm sein Gesicht wie ein Spiegelbild entgegen sah. Er machte sich lang, streckte die Hand danach aus und nahm sie an sich. Sie war identisch mit dem Bild, welches sich bereits in seinem Rucksack befand. Der eingefangene Ausdruck in seinen Augen war derselbe, genauso wie auch die Initialen in der unteren linken Ecke dieselben waren. C.A.T. Sie war also die mysteriöse Malerin!
Ein erneutes Aufstöhnen ihrerseits kündigte ihr Aufwachen an. Sie öffnete die Augen. Der fassungslose Gesichtsausdruck, mit dem sie ihn bedachte, war nichts im Vergleich zu dem einen Wort, welches nun über ihre Lippen kam.
„Du?“
Geheimniskrämereien
Zwischen Traum und Wirklichkeit
Weitere Kostenlose Bücher