Wald der Masken
1.
»Mythor!«
Jemand rüttelte an seiner Schulter.
»Mythor! Komm zu dir! Ich spüre Gefahr!«
Er schlug die Augen auf, noch gefangen in seinen bösen Visionen. In der Düsternis des beginnenden Tages sah er ein Gesicht über sich.
Eine silberne Maske mit den Zügen eines Aegyr, Oggryms Maske!
»Cobor!«
Der Ruf kam aus dem Mund der Maske, ohne daß er sich bewegt hätte. Mythor wartete darauf, daß Cobor antwortete. Woher kannte Oggryms Geist den Baummenschen?
»Cobor! Es ist schlimmer als gestern! Er erkennt mich nicht mehr!«
Wieder keine Antwort, und wieder rüttelte die Hand an Mythors Schulter. Eine zweite legte sich dort fest auf die Decke, wo er den Dolch hielt.
»Bist du auch schon verzaubert, Cobor!« Die Stimme wurde flehender. »Mythor, wach auf! Ich bin es doch, Ilfa!«
Ilfa…
Die Maske grinst mich an. Sie beginnt zu glühen. Sie will mich mit ihrem Feuer verzehren, so wie sie es schon einmal tat. Sie brennt!
»Nein!«
Mythor schlug die Decke und die Hand zurück und kam mit einem Satz in die Höhe. Die Klinge schimmerte im Widerschein des niederbrennenden Lagerfeuers blutrot, rot wie das Gesicht des Mädchens.
Er ließ den Dolch sinken und verlor durch das plötzlich einsetzende Schwindelgefühl fast das Gleichgewicht. Ilfa war da und stützte ihn.
»Mythor, was kann ich denn tun, um dir zu helfen? Was ist es, das dich von Tag zu Tag mehr quält?«
Sie reichte ihm einen Lederbeutel, und er trank daraus frisches Wasser. Seine Eindrücke klärten sich. Er schüttelte die Benommenheit ab und sah die zehn Baummenschen unsicher neben dem Feuer kauern, Cobor in ihrer Mitte. Auf der anderen Seite der erlöschenden Glut stand der Kruuk Roar hochaufgerichtet. Sein Anblick riß Mythor endgültig wieder in die Wirklichkeit zurück.
»Den Göttern sei Dank«, entfuhr es Ilfa. »So wie du mich angesehen hast, glaubte ich schon, du wolltest mich umbringen. Für wen hast du mich gehalten, Mythor? Was quält dich, seit wir den Hinterwald vor vier Tagen verließen?«
Er steckte den Dolch in den Gürtel zurück und sah ihr in die Augen.
»Es ist vorbei«, sagte er. »Vorbei, Ilfa.«
Die Tochter Helmonds, des Wegelagerers, ließ ihn los und betrachtete ihn fast ärgerlich. Sie fuhr sich durch ihr kastanienbraunes Haar und glättete ihr lose bis auf die Oberschenkel fallendes, dunkelgrünes Hemd. Dann schien sie einzusehen, daß Mythor nicht gewillt war, über seine nächtlichen Alpdrücke zu reden.
Sie nickte in die Richtung, in die der Fußmarsch weitergehen sollte. Irgendwo dort sollte der Wald der Masken liegen. Doch überall herrschte die gleiche finstere Nebeldämmerung. Nur das Land selbst hatte sich verändert. Nach dem Verlassen des Hinterwaldes hatte der Weg der Gruppe durch unwegsames Gelände geführt, in dem sich schier undurchdringliche Grüninseln mit zerklüftetem Bergland abwechselten. Es war durch Geröllfelder gegangen, in denen urplötzlich heiße Quellen ihr Wasser hoch in die Nebel spien, an schwefeldampfenden Spalten vorbei und an Bergkegeln, aus deren Kratern glutflüssige Lava geschleudert wurde.
»Ich bin schon einige Stunden wach«, sagte Ilfa. »Etwas zieht sich um uns herum zusammen. Die zehn Baummenschen, die Courmin uns mitgab, spüren es auch. Siehst du, wie sie sich umblicken? Sie scheuen kein Abenteuer, doch dies ist nicht mehr die Welt, die sie kennen. Und Cobor, ihr Anführer, macht mir Angst.«
Cobor richtete sich zu seiner vollen Größe von gut sieben Fuß auf, als hätte er ihre leisen Worte vernommen. Sein langes, schwarzes Haar flatterte im auffrischenden, warmen Wind. Kurz blickte er sich nach Mythor und Ilfa um, und der Mann ohne Erinnerung erschauderte, als er die glühenden Augen des Abenteurers sah.
Von Cobors Stirn fehlte ein Stück der rechten Hälfte, als hätte sie ihm ein Kriegshammer der Kruuks herausgehauen. Nur dunkelbraune Haut spannte sich darüber. Cobor war ein reines Muskelpaket. Er konnte bei jeder Gefahr blitzschnell handeln und wußte seinen Verstand zu gebrauchen.
»Verstehst du jetzt, was ich meine?« fragte Ilfa. »So ist er schon, seitdem ich aufgewacht bin. Er scheint etwas zu erwarten.«
Sie hatten das Lager bei Anbruch der Nacht zwischen einem halben Dutzend großer Felsen aufgeschlagen, die die Form eines Hufeisens bildeten. Auf der offenen Seite ging es leicht bergab, und in den Gesteinsritzen hatten sich Riesenfarne angesiedelt. Weiter nach unten und den Seiten, breitete sich einer der undurchdringlichen Farn- und
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