Im Bann des Kindes
die Wunden einander berühren konnte, bevor rotes Blut sich mit tief schwarzem mengte, wandte der »Zeremonienmeister« das Gesicht ab.
Bis er sich selbst über die Schulter sehen konnte.
Der Glanz seiner Augen erlosch, kaum daß das Knacken seines brechenden Halses in der Nacht verklungen war. Klirrend fiel der Dolch zu Boden.
»Lilith!«
Die Halbvampirin tat einen Schritt zur Seite und sah sich erst dann nach dem um, der ihren Namen gerufen hatte. Im nächsten Moment fand ihn. Sein bloßer Anblick genügte, ihre versiegten Kräfte neu zu beleben.
»Raphael!«
Er war hinter einer Säule dicht bei der Mauer des Palastes hervorgetreten und winkte ihr, zu ihm zu kommen.
»Greift ihn!«
Landrus Befehl donnerte über die Dächer des Palastes hinweg. Gleichzeitig war er nach einem raschen Satz neben Lilith aufgetaucht. Seine Hände schlossen sich mit eisernem Griff um ihre Oberarme.
Keiner seines Volkes verweigerte dem ungekrönten König den Be-fehl. Ein paar von ihnen bezahlten ihren Gehorsam mit dem Leben. Das Geräusch brechender Knochen schallte Pistolenschüssen gleich durch die Nacht.
Lilith konnte nichts für Raphael Baldacci tun. Landru hielt sie unerbittlich fest, und sie hütete sich, seine Aufmerksamkeit von dem Kampf abzulenken. Nicht bevor die Schnitte in ihrer beider Handflächen verheilt waren.
Doch als diese Gefahr gebannt war, war es längst zu spät, um Raphael noch helfen zu können. Die Vampire rangen ihn schon dank ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit nieder, und sie prügelten so auf ihn ein, daß sein Blick sich trübte. Welcher Art die Kraft, über die er gebot, auch sein mochte, Lilith erkannte, daß er sie nicht mehr einzusetzen vermochte. Nicht in diesem erbarmungswürdigen Zustand.
»Bringt ihn her!« befahl Landru.
Die Vampire schleiften Baldacci heran und hielten ihn fest, so daß Landru und Lilith sein zerschundenes Gesicht im Blick behalten konnten.
Lilith mußte sich zwingen, dem Anblick standzuhalten; Landru weidete sich daran.
»Wer bist du?« fragte er.
Raphael spuckte ihm vor die Füße. »Ich bin gekommen, um im Staub deiner Knochen zu waten.«
Landru wollte die Lippen verziehen, wollte grinsen - doch es gelang ihm nicht. Etwas in der Stimme dieses Mannes verriet ihm, daß seine Antwort nicht Auswuchs einfältiger Heldenhaftigkeit war.
Und Landru spürte auch, daß der andere seinen Plan in die Tat umsetzen würde, wenn er ihm nur noch ein bißchen Zeit ließ.
»Kreuzigt ihn!« Er brüllte die Worte hinaus.
Und die Meute antwortete ihm wie ein vielstimmiges Echo.
»Kreuzigt ihn! Kreuzigt ihn! Kreuzigt ihn!«
*
Sie rissen Raphael Baldacci die Kleider vom Leib und banden ihn an ein hölzernes Gatter, die Arme vom Körper gestreckt, wie einst der Verhaßte gestorben war.
Lilith sah zu ihm hoch. Tränen füllten ihre Augen. Schmerz brannte in ihrer Kehle. Trotzdem brachte sie wenigstens ein Wort hervor.
»Raphael .«
Er hing schwer in seinen Fesseln hoch über ihnen, während die Vampire, die ihn dort angebunden hatten, von dem Gatter herabstiegen. Der junge Mann stöhnte leise. Das eigene Körpergewicht zerrte an seinen Gelenken.
Lilith hatte nur geflüstert. Trotzdem erhielt sie eine Antwort.
»Lilith .«
»Wie nett.« Landru stieß die Bemerkung knurrend hervor. Doch der Sarkasmus darin kam nicht zum Tragen. Zu schwer wog die Furcht vor dem, was geschehen konnte, wenn der Bursche dort oben nur Gelegenheit fand, sich ein wenig zu erholen.
»Auf ihn!« rief er.
Er selbst war der erste, der sich verwandelte. Als flatternder Schatten stieg er hoch, gefolgt von Dutzenden weiterer Fledermäuse. Einer Wolke gleich senkten sie sich über den Gekreuzigten. Ihre Masse war so gewaltig, daß sie selbst das Licht des Vollmondes verschlang.
Dennoch blieben noch Sekunden, in denen Lilith Raphaels Worte vernahm.
»Lilith, ich habe dich gesucht, weil ...«, sagte er, und in seiner Stimme war kein Schmerz. Stoisch ertrug er, was winzige Krallen und Zähne ihm antaten.
»Weil?« flüsterte Lilith, während ihr die Stimme versagte.
»Weil du vielleicht die eine gewesen wärst, die mich hätte erlösen können, und befreien von meinem Haß .«
Ein Stöhnen drängte sich nun doch zwischen seine Worte, doch es in seiner geringen Lautstärke sprach dem Schmerz Hohn, den ihm die Vampire zufügten.
»... dem Haß auf Vampire!«
»Ich bin keine Vampirin!« schrie Lilith.
»Ich weiß«, antwortete Raphael leise. »Jetzt weiß ich es. Zu spät ...« Wieder stöhnte er. Kaum
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