Im Blut vereint
gehörte Marian MacAdams Sohn dazu – und sie wollte es nicht zugeben.
Wie schwer diese Tatsache zu akzeptieren war, wusste Kate selbst. Sie hatte sehr darunter gelitten, als sie sich mit zwölf eingestehen musste, dass ihr eigener Vater auch zu diesen Leuten gehörte.
Ihre nächsten Worte würden der Mandantin nicht gefallen. »Mrs MacAdam, die Gerichte trennen Kinder nur ungern von ihren Eltern. Die Eltern haben prima facie das Sorgerecht, es sei denn, das Kind wird nachweislich vernachlässigt oder erleidet emotionalen Schaden.« Sie konnte die Worte praktisch auswendig. Nun kam der entscheidende Punkt. Sie sah Marian MacAdam fest an. »Wird Lisa vernachlässigt oder wird ihr seelischer Schaden zugefügt?«
Marian MacAdam schaute weg. »Körperlich wird sie nicht vernachlässigt. Aber man könnte schon sagen, dass sie seelischen Schaden erleidet.«
»Mrs MacAdam, dieser Begriff ist genau definiert. Sie werden belegen müssen, dass Lisa schwere Angstzustände oder Depressionen hat, dass sie sich isoliert oder dass sie selbstzerstörerisches Verhalten zeigt …« Dabei konnte seelischer Schaden sehr viel heimtückischer, sehr viel weniger offensichtlich sein, wie Kate nur zu gut wusste. Er konnte ein Mädchen im Teenageralter dazu verleiten, alle Warnungen der überforderten Mutter in den Wind zu schlagen, sodass ihr etwas Unfassbares zustieß.
»Ich glaube, dass sie Drogen nimmt«, sagte Marian MacAdam leise.
Kate lehnte sich zurück. »Sind Sie da sicher?«
Marian MacAdam schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht beweisen … es ist nur eine Vermutung. Lisa ist unzuverlässig geworden, kommt nicht zum Abendessen, obwohl sie es angekündigt hat, solche Dinge.«
»Haben Sie mit ihren Eltern darüber gesprochen?«
»Ihre Mutter sagt immer nur, dass mit Lisa alles in Ordnung sei, und Lisa gibt es natürlich nicht zu.« Ihre Stimme wurde hart. »Was ihrer Mutter gut in den Kram passt.«
Insgeheim empfand Kate ein wenig Sympathie für Marian MacAdams frühere Schwiegertochter. Es war bestimmt nicht leicht, als Alleinerziehende zurechtkommen zu müssen und dabei ständig von der Schwiegermutter kritisiert zu werden.
»Haben Sie versucht, mit Ihrem Sohn darüber zu sprechen? Vielleicht kann er helfen.«
Marian MacAdam verzog den Mund. »Mein Sohn hat keinen Einfluss auf seine Exfrau. Und außerdem ist er immer auf Reisen. Er ist Partner in einer dieser großen Beratungsfirmen.«
»Also lebt Lisa bei ihrer Mutter?«
Marian MacAdam nickte. »Ja. Ihre Mutter arbeitet noch mehr als mein Sohn.« Das klang vertraut. Kates Mutter hatte zwei Jobs gehabt, um sie beide über Wasser zu halten, nachdem ihr Vater sie finanziell im Stich gelassen hatte.
»Was macht sie beruflich?«
Da ließ Marian MacAdam die Bombe platzen.
»Sie ist Richterin.«
»Richterin?« Kate versuchte sich die Verblüffung nicht anmerken zu lassen. Sie hatte eine verarmte alleinerziehende Mutter vor Augen gehabt. Nicht eine Richterin. »Bei welchem Gericht?«
»Beim Strafgericht. Vielleicht kennen Sie sie. Sie heißt Hope Carson. Sie hat mit dem ganzen Abschaum zu tun.« Ihr Tonfall war voller Verachtung. Kate zuckte innerlich zusammen. Ihr Vater hatte auch zu diesem Abschaum gehört. Er hatte sie alle auf dieses Niveau hinabgezogen. Kate hatte achtzehn Jahre gebraucht, um sich wieder nach oben zu kämpfen. Zurück zu einer Position, in der man sie respektierte.
Richterin Carson hatte Kate nicht mit Respekt behandelt. Kate hatte bisher nur einmal mit ihr zu tun gehabt, kurz nach ihrer Zulassung, als sie noch jeden Mandanten annehmen musste, der bei ihrer früheren Kanzlei zur Tür hereinkam. Es war keine angenehme Erfahrung gewesen. Richterin Carson – in Anwaltskreisen als Richterin Hoffnungslos bekannt – war schroff, ungeduldig und sarkastisch. Und zwar zu jedem, ob Staatsanwalt oder Verteidiger.
Und nun wollte die eigene Schwiegermutter gegen sie in den Krieg ziehen. Es wäre der Traum jedes Reporters: Sie würden Experten hinzuziehen müssen, um Beweise für Lisas Drogenkonsum und ihr selbstzerstörerisches Verhalten zu bekommen. Sie würden nachweisen müssen, dass Lisas Eltern – und insbesondere ihre Mutter – nichts dagegen unternahmen.
Was für einen fürchterlichen Kampf das gäbe.
Man würde überall nur noch darüber reden: am Gericht, in den Medien, hier in der Kanzlei.
Für sie selbst wäre es ein Sprung in den Treibsand, und LMB würde sie mit hineinziehen. Ihre Karriere könnte sie dann vergessen. LMB wollte sich
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