Im Blutkreis - Roman
seinem gesunden Arm wie wild im Sand zu graben. Einen Augenblick später hatte er eine Granitplatte freigelegt, die mit einem Metallring versehen war. Er klammerte sich daran fest, und mit übermenschlicher Anstrengung gelang es ihm, sie zu bewegen. Er atmete tief durch und stieg in den Bauch der Wüste hinab.
Mit kleinen Schritten ging er an den Felswänden des unterirdischen
Gangs entlang. Auf jeder Seite waren Nischen in den Fels gegraben, in denen die verfolgten Christen ihre Toten begraben hatten, aber seine Aufmerksamkeit war bereits auf etwas anderes gerichtet.
Der Blutkreis.
Obwohl Michael den Ort, wo der Papyrus verwahrt wurde, immer geheim gehalten hatte, hatte Nathan doch eine sehr genaue Vorstellung, wo er ihn finden würde – er war dem Versteck bereits ganz nahe gewesen.
Es befand sich direkt in der Kirche, unter dem Hauptaltar, der sich im Sanktuarium erhob. Im Gegensatz zu den meisten Riten der östlichen Christen, die in ihm die Reliquien ihrer Heiligen einschlossen, sollte der Altar in der koptischen Tradition wirklich das Grab Christi »sein«. Nur eine als göttlich angesehene Reliquie konnte darin verwahrt werden.
Nathan entdeckte eine in die Wand gehauene, steile Treppe, die nach oben führte. Er war seinem Ziel ganz nahe. Wenn er sich nicht täuschte, würde er in die unterirdischen Gewölbe des Klosters gelangen. Er stieg die Stufen bis zu einer neuen Falltür hinauf, erreichte den letzten Treppenabsatz, stützte sich mit den Beinen ab und schob die Platte mit seiner gesunden Schulter beiseite.
Grelles Licht blendete ihn. Weiß geflieste, keimfreie Wände… eine Sicherheitsschleuse. Hinter einem breiten Glasfenster erkannte Nathan die Abdeckhauben, die Inkubatoren für die Zellkulturen, die Zentrifugen, die Taucheranzüge … Das Labor… Er befand sich mitten in dem Labor, in dem die Virologen ihre Scheinviren entwickelten. Aber er würde sich dort nicht weiter aufhalten.
Ein weiterer Gang, eine Leiter.
Nathan schlüpfte in den Stollen, kletterte die Sprossen aus Stahl hinauf und drehte den runden Griff, der eine weitere Falltür schloss.
Diese öffnete sich auf die Kirche, unter dem Schiff …
Das Licht der Kerzen fiel auf sein Gesicht. Er blieb einen Augenblick auf der Leiter stehen. Kein Laut. Alles war ruhig und friedlich. Er stieg aus dem Loch, zog seine Pistole und ging, die Hände fest um die Waffe geschlossen, zum Chor. Zuerst sah er die Splitter des Kirchenfensters, das er bei seiner Flucht zerbrochen hatte, die umgestürzten Lesepulte … alles war, wie er es verlassen hatte. Nathan ging schnurstracks auf das Sanktuarium zu. Es war ein außergewöhnlicher Raum mit drei Altären, geschützt von einem Zaun aus Edelholz, das über und über mit eingelegtem, ziseliertem Perlmutt und Elfenbein verziert war und geschmückt mit Ikonen und Trauben von Straußeneiern, Symbol des Lebens und des Schutzes.
Ein dicker, dunkler Wollvorhang verschloss den zentralen Eingang. Nathan zog die Schuhe aus und trat ein.
Er kam in eine echte Schatzkammer.
Der mit einem weißen Leinentuch bedeckte Altar wurde von einem riesigen Baldachin gekrönt, auf dem Christus und die Engel dargestellt waren.
Die silbern und karminrot schimmernden liturgischen Utensilien waren sorgfältig vor ihm angeordnet: Kelch und Hostienteller, Elfenbeinschatulle für die Evangelien, geschnitzte Fächer, geschmückt mit prächtigen Pfauenfedern.
Michael konnte jeden Augenblick auftauchen, Nathan durfte keine Zeit verlieren. Er kniete sich hin, hob das Tuch an und entdeckte eine kleine Nische, in der der Papyrus verwahrt wurde.
Die Tür stand einen Spalt offen.
Sein Herz schlug schneller und tönte wie ein Gong in seiner Brust. Ohne lange zu überlegen, steckte er die Hand in die Öffnung … sie schien sehr tief hineingegraben worden zu sein. Als er sich weiter vorbeugte, erkannte er eine Form… ohne sie identifizieren zu können. Er steckte den Kopf in den Hohlraum, knipste seine Taschenlampe an…
Ein Kopf… Ein abgetrennter Kopf, ein von der Folter aufgedunsenes Gesicht … Silbriges Haar… Es war …
… der Kopf von Ashley Woods.
Nathan schrie aus tiefster Seele.
Die Augenhöhlen waren entkernt worden, und die Zunge des Engländers hing schwarz zwischen Lippenfetzen und den Resten eingeschlagener Zähne heraus.
Dieses Schwein von Michael hatte gelogen. Die Wachen hatten ihn in Khartum abgefangen und zu Tode gefoltert, um zu erfahren, wo er sich aufhielt …
Er erstarrte … die
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