Im Blutkreis - Roman
einziges Lügengespinst. Mit diesem apokryphen Text, dadurch dass er Jesus in die Nachfolge von Judas dem Gauloniten gestellt hat, hoffte der Autor, seine Gewalttaten zu rechtfertigen. Er war einfach nur ein Ketzer unter anderen.«
Schweigend betrachteten sie einen Augenblick das Manuskript.
Ein einfacher Text, Ausgeburt des Bewusstseins eines Mörders. Ein paar Worte, die durch die Jahrhunderte gewandert waren und den Tod Tausender Unschuldiger verursacht hatten…
Schließlich erzählte Rhoda, dass sie nach ihrem letzten Telefonat von seinen Enthüllungen über Katalé ganz durcheinander gewesen sei: das unterirdische Labor, die »Überwachungszelle« … Zuerst hatte sie sich geweigert, den Dingen ins Gesicht zu sehen, dem ganzen Grauen, aber dann war sie doch gezwungen gewesen, diese Wahrheit, die Gestalt annahm, zu akzeptieren. Sie hatte versucht, Nathans Spur zu finden. Die Erinnerung an ihr Gespräch in Paris hatte sie über die Malatestiana zu Woods geführt. Sie hatten eine Vereinbarung getroffen, und der Engländer hatte ihr als Gegenleistung für Informationen über One Earth die ganze Geschichte erzählt, die Manipulationen der Viren, Nathans Kindheit, die Lucien-Weinberg-Klinik, sein plötzliches Verschwinden, die Legende des Blutkreises … Mit immer größerem Entsetzen hatte sie eine Verbindung zwischen diesen Fakten und den Informationen über die jungen Patienten hergestellt, die sie selbst jedes Trimester an den Sitz der Nicht-Regierungsorganisation weitergab. Auch wenn sie von diesen Machenschaften keine Ahnung gehabt hatte, fühlte sie sich trotzdem als Komplizin dieser Verbrechen. Sie hatte beschlossen zu handeln.
Woods hatte ihr daraufhin den Fehler gebeichtet, den er gemacht hatte, als er Staël einschaltete. Denn Nathans makabre Entdeckungen mochten zwar belastend scheinen, was die Verstrickung von One Earth in diese Verbrechen betraf, aber vor dem Gesetz hatten sie sich als unzureichend erwiesen. Ein Manuskript aus dem 17. Jahrhundert, Leichen von Soldaten des Ersten Weltkriegs und ein Massengrab in Afrika reichten nicht aus, um eine Operation zu rechtfertigen oder internationale Haftbefehle auszustellen. Eine Organisation wie der MI 5
brauchte Fakten, unwiderlegbare Beweise. Im Fall des Attentats von Fiumicino hatte es keinen Hinweis gegeben, der erlaubt hätte, eine Übereinstimmung mit Nathans Entdeckungen zu erkennen. Staël war dennoch entschlossen, eine Untersuchung einzuleiten, aber die Verwicklung einer angesehenen Nicht-Regierungsorganisation, einer bereits verfolgten religiösen Gemeinschaft wie die der Kopten und von Krisenstaaten wie dem Sudan und der Demokratischen Republik Kongo in den Fall würden monatelange Verhandlungen bedeuten, und das hätte die Ermittlungen erheblich behindert. Wenn diese berühmten Beweise wirklich existierten, würden die Verbrecher sie verschwinden lassen und untertauchen. Die Gefahr, sie zu verlieren, war mehr als groß.
Woods hatte sich das ganze Material noch einmal vorgenommen und die Verbindung zwischen dem auf dem Elias-Manuskript gefundenen Blütenstaub und dem Kloster am Dschebel Barkal hergestellt. Er fühlte sich zutiefst schuldig an dem, was er selbst letzten Endes doch als Verrat empfand. Da er sich nicht damit abfinden konnte, Nathan allein handeln zu lassen, hatte er beschlossen, ihm zur Hand zu gehen. Als Rhoda darauf beharrt hatte, sich ihm anzuschließen, hatte der Engländer mit Nachdruck abgelehnt. Aber die junge Frau hatte ihre eigenen Schuldgefühle wegen der Berichte, die sie verfasst hatte, und ihre Verbindung zu Nathan angesprochen. Seine militärische Erfahrung und die Kenntnisse, die er an den Schauplätzen humanitärer Katastrophen gesammelt hatte, hatten ihn schließlich veranlasst nachzugeben. Sie hatten daraufhin verabredet, sich in Khartum zu treffen.
Als sie in der islamischen Stadt eintraf, hatte Rhoda einen zu allem entschlossenen Mann angetroffen. Ashley hatte sich einen Geländewagen besorgt und eine Kontaktperson aufgetrieben, über die er Waffen kaufen konnte, die er noch am selben Abend bekommen sollte. Außerdem war es ihm gelungen, ein Abhörsystem ins Land zu schmuggeln, mit dem sie Radiosendungen
abhören und entschlüsseln konnten. Woods wusste, dass die Hoffnung, Kontakt zu Nathan aufnehmen zu können, illusorisch war. Mit Hilfe einer Karte hatte er daraufhin seinen Plan erklärt, der darin bestand, sich in das Gebiet des Klosters zu begeben, sich dort zu verstecken, zu warten und die
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