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Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Walser
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Brot nur so auf den Monatssalärtisch fällt, der muß sich verpflichtet fühlen, nach und nach zur kontraktlich regelmäßigen Maschine zu werden. Im Ernst: dies ist erste und letzte Aufgabe. Germer ist eine schlechte Maschine, erbeherrscht seine Empfindungen nicht, er tobt, er brüllt, er pfeift, er wischt ab, er knirscht mit den Zähnen, er macht großzügige Arm- und Handbewegungen, er schreitet einher wie ein König der Bretter, die die Welt bedeuten sollen, er ist krank. Es gibt ja Krankheiten, die zu Lebensstellungen noch ganz gut passen. Germers Krankheit aber ist der scheinbar persönliche und überzeugte Feind seines kräftefordernden Postens. Schickt sich das? Wer einen Posten besetzt, der muß alles Unpostengemäße wegwischen. Unser Mann aber wischt mit der Hand seinen Posten weg. Das ist dumm, weil es unmöglich ist. Niemand kann Existenzen abwischen. Germer sagt immer: »Weg! Lassen Sie mich in Ruhe!« Ja, ja, so eine defekte Maschine.
    Ein Herr Kollege soll auch kollegialisch empfinden. Das Prinzip der Kollegialität ist ein herrisches und ein nur zu tief begründetes. Das ist so gewesen und wird sicher so bleiben. Ein hungernder Vagabund hat nicht nötig, Rücksicht zu nehmen, dafür hungert er aber auch. Germer aber hat jeden Tag sein Essen, Trinken, Schlafen, Wohnen, Spazieren und Stumpenrauchen, diese wie vom Himmel auf seine Person heruntergefallenen Tischlein-deck-dich-Sachen kommen von der weltgebietenden Kollegenschaft. Darf er das hintansetzen? Darf er dem Herrn Buchhalter Binz die Zunge ausstrecken, darf er »Affen!« zu den Korrespondenten sagen? Ganz gewiß nicht, und doch tut er's, aber nicht er tut's eigentlich, seine Krankheit begeht diese Sünden, also ist Germers Krankheit ein Feind des mächtigen Kollegengedankens. Meier vom Land, der weiß, wie schön es auf dem Land ist, hat schon mehrmals der Idee Ausdruck verliehen, daß Germer aufs Land gehöre. Diese Idee wird von Kollege Helbling, zur Abwechslung scheinbar, wieder einmal, von Mann zu Mann im ganzen Bureau herumgetragen: »Es wäre bald besser, man täte den Germer aufs Land.« Chef Hasler, der stets Umsichtige, macht der Verbreitung guter Literatur in die breiten Volksschichten ein rasches, stirnrunzelndes Ende: »Es ist mir lieber, Sie arbeiten, Helbling.«
    Die Landidee ist aber nicht mehr auszurotten. Binz, der Buchhalter im Profil, gibt ihr weiteren Ausdruck: »Da hätte er's doch verflucht gut. Die Landluft könnte ihn am Ende wieder völlig gesund machen. Hier wird er von Tag zu Tag dümmer. Es ist bald eine Schande, so einen Menschen überhaupt nur anzusehen. Es ekelt einen ja bald einmal. Auf dem Land würde er Sonnenschein und eine leichte Beschäftigung haben. Den halben Tag könnte er unter einem Baume im Gras liegen und ›Weg von mir!‹ sagen. Die Mücken und Fliegen würden es ihm beim Eid nicht übelnehmen. Man geniert sich bald. Und mit dem Helbling müßte man eigentlich auch bald endlich einmal kurzen Prozeß machen. Wenn ich Chef wäre, ich würde hier herum allweg bald besser Ordnung machen.« Wenn ich Chef wäre! Herr Binz im Quadrat möchte gern Chef der gesamten Abteilung sein. Seiner Nase nach steht es schlimm mit der Zucht und Würde in den Buchhaltungsräumlichkeiten. An seine dicken täglichen Folianten gedrückt, träumt er von eisernen Reformen und von sich als von dem gestrengen Vollstrecker derselben. Ja, ja, die Untergebenen.
    Es wird auch nicht schlecht über die vermutlichen und vermeintlichen Ursachen von Germers geistiger Verwilderung hin und her gesprochen. Der Posten ist schuld. Der Posten ist zu aufreibend. Längst gehörte Germer vom Posten weg. Jeder andere würde an solch einem Posten ebenfalls verrückt. Und dann wird geflüstert, Rüegg sei schuld, Herr Rüegg, derUnterchef. Dieser habe den Germer mit kalter Berechnung in den Wahnsinn gehetzt. Kein anderer als Rüegg trägt Schuld. Das sei ein Schikaneur von der durchtriebensten Sorte. Neben diesem Satan zu arbeiten, das sei eine Qual. Erstens das teuflische Portefeuille, zweitens Rüegg, der figürliche Teufel. Der Germer sei zu bedauern. Warum sich das Kalb habe abhetzen lassen? Jedenfalls müsse er vom Posten weg. Helbling unternimmt es bereitwilligst, im ganzen Bureau herum die Qualen des Germerschen Postens zu schildern, er malt mit den absichtlich schwärzesten und zeitraubendsten Malmitteln. Er schildert wieder einmal Zeit tot. Aber Chef Hasler, kunstfeindlich wie immer, zerstört das Wandgemälde.
    »Herr Germer, Sie müssen

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