Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
Walser macht auch deutlich, daß sich die Existenz von Angestellten und Herren wechselseitig über den jeweils anderen konstituiert, ihr Verhältnis also kein Außen kennt. Auch der Schriftsteller erscheint bei Walser explizit als Angestellter, der sich – »angestelltenhaft« – nach der Gunst seines Herrn, des Lesers, richtet, der sich aber damit auch die Freiheit nimmt, letzterem etwas vorzuspielen.
Betrachtet man Walsers Büro unter einer eschatologischen Perspektive, so erscheint es als ein heterotopischer Durchgangsort, in dem Zeit und Raum erstarren und sich gleichzeitig auflösen – wie in einer Zelle oder in einer Klause. Es ist gerade der Versuch einer Vernichtung durch (rationale) Begrenzung, der sich dem Angestellten letztlich als Möglichkeit der Entgrenzung anbietet – im Glück des Augenblicks, in der Transzendierung des eigenen nichtigen Ichs in der Fantasie. Werden Walsers Angestellten-Figuren tatsächlich erlöst? Das Helblingsche Glück etwa liegt nicht in einem glücklichen Leben selbst, sondern in der positiven Wirkung eines Glaubens an das Glück. Negativität, das ›inhaltslose Leben‹, erscheint somit als Voraussetzung eines positiven Glücksgefühls.
Walsers Helden des Büros träumen, gleichzeitig nichts und alles zu sein. Während auf der einen Seite Melvilles Bartleby in seiner Unbestimmtheit und mit seinem »I would prefer not to« die Gesetze der modernen Arbeitswelt außer Kraft setzt und auf der anderen Seite Kafkas Figuren gegenüber der bürokratischen Allmacht der Verwaltung kapitulieren, wird bei Walsers Angestellten die Macht des Nichts-Wollens und die Ohnmacht des Nichts-Könnens in die erlösende (innere) Freiheit scheinbarer (äußerer) Anpassung transformiert: »Er gehorcht gern und widersetzt sich leicht.« WasWalsers Männern ohne Eigenschaften punktuell zuteil wird, ist ein äußerst prekäres Glück. In ihrer Hoffnung und ihrer Potentialität sehen sie sich immerzu bedroht – vom akuten Selbstverlust in einem Lebenslauf, der jeglicher Individualität entbehrt.
Reto Sorg und Lucas Marco Gisi
Textnachweise und Anmerkungen
Die Texte dieses Bandes sind folgenden Ausgaben entnommen:
Robert Walser: Sämtliche Werke in Einzelausgaben . Herausgegeben von Jochen Greven. 20 Bde. Zürich und Frankfurt: Suhrkamp Verlag 1985/86 (st; 1101-1120) [= SW ].
Robert Walser: Aus dem Bleistiftgebiet . 6 Bde. Im Auftrag des Robert Walser-Archivs der Carl Seelig-Stiftung/Zürich entziffert und herausgegeben von Bernhard Echte und Werner Morlang. Frankfurt: Suhrkamp Verlag 1985-2000 [= AdB].
Robert Walser: Feuer. Unbekannte Prosa und Gedichte . Herausgegeben von Bernhard Echte. Frankfurt: Suhrkamp Verlag 2003 [= Feuer].
Im Bureau ( SW 13, 7); Erstdruck 1907, in Die Opale . Das Gedicht ist bereits 1897/98 entstanden und wurde – als Eröffnungsgedicht – auch in Robert Walsers Band Gedichte aufgenommen, der 1909 im Verlag Bruno Cassirer, Berlin, erschien und von Roberts Bruder Karl Walser mit Radierungen versehen worden war.
Der Commis. Eine Art Illustration ( SW 1, 49-65); Erstdruck 22. Juni 1902, im Sonntagsblatt des Bund ; der Text wurde 1904 auch in Walsers erste Buchpublikation aufgenommen, die 1904 im Insel Verlag in Leipzig erschien: Fritz Kocher's Aufsätze, mitgeteilt von Robert Walser ; ebenfalls mit Illustrationen von Karl Walser. Die Schreibweise »Commis« (franz. für ›Handlungsgehilfe‹; Meyers Konversations-Lexikon, 1894-1898) wird auf Walsers Wunsch für die Buchausgabe beibehalten, denn: »Es sieht mit K zu klotzig aus« (An den Insel Verlag, 27. August 1904).
Ein Vormittag ( SW 2, 114-121); Erstdruck 23. September 1907, im Simplicissimus , später in die Sammlung Geschichten , 1914 im Kurt Wolff Verlag, Leipzig, aufgenommen. Die satirisch-humorvolle Anlage des Textes entspricht dem Publikationsort; dies gilt auch für die beiden Texte Das Büebli und Germer . Die Texte Ein Vormittag , Das Büebli , Germer , Helblings Geschichte , Helbling , 〈Die Bühne ist ein Büro〉 beziehen sich auf Walsers Anstellung als »Gehülfe« bei der Zürcher Kantonalbank 1904 bis 1905, wie sich z.T. anhand der Angestelltennamen nachweisen läßt. Das ›Personal‹ des Bankhauses erscheint z.T. auch in zwei Textfragmenten von 1914 ( SW 16, 411-413).
Das Büebli ( SW 3, 121-126); Erstdruck 20. Januar 1908, im Simplicissimus , später in die Sammlung Aufsätze , 1913 im Kurt Wolff Verlag, Leipzig, aufgenommen. Der Protagonist des Prosastücks wird mit verschiedenen, meist
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