Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
exakter arbeiten«, sagt Rüegg, der Chef des Portefeuilles, ein älteres, stilles, bebrilltes, schmächtiges, monotones, graues, bebartetes, bleiches Herrchen mit schmachtender, bohrender Stimme. »Herr Rüegg, lassen Sie mich in Frieden. Verstanden! Weg!« sagt Germer. Nun sind das ja keineswegs Untergebenenworte, noch viel weniger Tägliche-Brots-Worte, und noch weniger Worte eines Menschen, der fürchten muß, vom Posten weggewischt zu werden. Aber was kann man dafür, wenn es in Gottes Namen aus einem heraussprudelt. O wie Rüegg Germer haßt, aber noch schrecklicher ist es, wie Germer Rüegg haßt, und am fürchterlichsten ist es, wie beide einander in den Tod sich hassen. Und doch müssen sie zusammen arbeiten, eng verschlungen wie die geschmeidig sein sollenden Bestandteile einer schnurrenden Maschine. Des einen Tätigkeit ist futsch ohne die bereitwillige Tätigkeit des andern. Macht einer Fehler, so müssen drei drunter leiden, und Germer macht immer Fehler, aber er glaubt steif und fest, er arbeite nur deshalb schlecht, weil Rüeggs Bosheit ihn kaputt macht. Rüegg dagegen ist ein feiner, geschmackvoller Mensch, er beteiligt sich nie an den »Volksschauspielen«, er behandelt Germer als einen völlig Normalen, und das gerade reizt den Kranken: »Weg!« Sagt Hebel A zu Hebel B solche Worte? Ja, ja, so ein Bestandteil.
Und jahrelang haben die beiden Hebel A und B zusammen das Rad der Arbeit mühsam geschwungen. Unter: »Sie müssen besser arbeiten!« und: »Gehen Sie mir weg!« Unter heimlich fressendem Ärger. Rüegg hat den Germer immer unter der Brille schräg hinauf angeschaut. Vielleicht haben diese Blicke das Ungestüm in Germers Wesen heraufbeschworen. Wer kann einer Seele sagen, woran sie erkrankt. Überlassen wir die zeitgemäße Beantwortung dieser Frage unsern Herren der Wissenschaft. Die haben's Patent drauf. Wenn so eine fleißige, emsige Stille im Saal herrscht, pfeift einer plötzlich, und wer ist es? Germer. Auch laut lachen kann er plötzlich. Und immer wischt er mit der schrecklich großen und flachen Hand etwas aus der Luft weg. Armer Germer.
Ja, ja, das Leben ist hart, Helbling weiß auch ein Lied davon zu singen. Man sagt, die eintönigen Lieder seien die rührendsten. Germer ist verheiratet, er hat Frau und zwei Kinder, Mädchen, die jetzt anfangen zur Schule zu gehen. Alle sechs bis acht Wochen besucht Frau Germer den Direktor der Bank, um diesen hochachtbaren Mann weinend zu bitten, er möge das Nötige tun und veranlassen, daß man ihren Mann möglichst schone und in Ruhe lasse. Es ist der Kollegenschaft bedeutet worden, die Veranstaltung von Extravorstellungen zu unterlassen. »Besser wäre, man täte ihn aufs Land«, meint Meier vom Land.
(1910)
Helblings Geschichte
I ch heiße Helbling und erzähle hier meine Geschichte selbst, da sie sonst wahrscheinlich von niemandem aufgeschrieben würde. Heutzutage, wo die Menschheit raffiniert geworden ist, kann es keine besonders kuriose Sache mehr sein, wenn einer, wie ich, sich hinsetzt und anfängt, an seiner eigenen Geschichte zu schreiben. Sie ist kurz, meine Geschichte, denn ich bin noch jung, und sie wird nicht zu Ende geschrieben, denn ich habe voraussichtlich noch lange zu leben. Das Hervorstechende an mir ist, daß ich ein ganz, beinahe übertrieben gewöhnlicher Mensch bin. Ich bin einer der Vielen, und das gerade finde ich so seltsam. Ich finde die Vielen seltsam, und denke immer: »Was machen, was treiben sie nur alle?« Ich verschwinde förmlich unter der Masse dieser Vielen. Wenn ich mittags, wenn es zwölf Uhr schlägt, von der Bank, wo ich beschäftigt bin, nach Hause eile, so eilen sie alle mit, einer sucht den andern zu überholen, einer will längere Schritte nehmen als der andere, und doch denkt man dabei: »Es kommen doch alle nach Hause.« In der Tat kommen sie alle nach Hause, denn es ist kein ungewöhnlicher Mensch unter ihnen, dem es arrivieren könnte, daß er den Weg nicht mehr fände nach Hause. Ich bin mittelgroß von Gestalt und habe deshalb Gelegenheit, mich zu freuen, darüber, daß ich weder hervorstechend klein, noch herausplatzend groß bin. Ich habe so das Maß, wie man auf schriftdeutsch sagt. Wenn ich zu Mittag esse, denke ich immer, ich könnte eigentlich anderswo, wo es vielleicht fideler zuginge am Eßtisch, ebenso gut, oder noch feiner essen, und denke dann darüber nach, wo das wohl sein könnte, wo die lebhaftere Unterhaltung mitdem besseren Essen verbunden wäre. Ich lasse alle Stadtteile
Weitere Kostenlose Bücher