Im Bus ganz hinten
ersten Mal zu Besuch in unsere Wohnung kam, schaute ich ihn an, als wäre er ein A lien. »Wer bist
du?«, wollte ich wissen. »Hallo, Patrick. Ich bin der Erich.« Er lächelte freundlich. Ich reagierte skeptisch und sagte erst einmal gar nichts. Ich
dachte noch immer an meinen Vater und hatte dementsprechend wenig Bock auf eine neue Person in unserer Familie. Erichs
A nnäherungsversuche waren zunächst allesamt zum Scheitern verurteilt. Je mehr er sich ins Zeug legte, desto unfreundlicher blökte ich ihn
von der Seite an, weil ich hoffte, dass meine Mutter auf mich aufmerksam werden und es sich dann noch einmal anders überlegen würde. Ich
hatte nicht das geringste Interesse, ihn zu akzeptieren, obwohl er eigentlich genau der Vater gewesen wäre, den ich so dringend brauchte.
Seltsamerweise mochte mich Erich trotz meiner A rt. Zumindest tat er immer so. Und: Er war viel herzlicher als meine Mutter. Sie war
meistens streng und zeigte mir die kalte Schulter – meine Probleme tat sie in der Regel uninteressiert ab. Erich aber war für mich da, und das
merkte ich dann auch irgendwann. Er hörte mir sogar zu, wenn ich Sorgen hatte. Das war völliges Neuland für mich.
Dass er dann gleich ein paar Wochen später bei uns einzog, warf uns allerdings noch einmal weit zurück. Er hatte einen sehr eigenartigen
Lebensrhythmus: Er fuhr nachts Taxi und schlief dann den ganzen Tag. Wenn ich vom Kindergarten nach Hause kam, kroch er gerade erst
verzottelt aus dem Bett, und dabei war er mir noch fremd und gleichzeitig schon zu nah. Sogar unsere schwarze Katze Felix war total genervt,
denn Erich hatte seinen Kater Otto mitgebracht. Die beiden kratzten sich vor lauter Hass fast die A ugen aus – da Felix natürlich sein Revier
verteidigen wollte. Und ganz ähnlich war es bei Erich und mir.
Zu meinem Geburtstag startete er wieder einen A nnäherungsversuch: Er schenkte mir das geilste Mountainbike der ganzen Nachbarschaft. Er
hatte es mir in der Nacht zuvor ganz leise in mein Zimmer geschoben, während ich tief und fest schlief. Er hatte sogar einen Bart-Simpson-
Gasballon an den Lenker geknotet – was damals meine absolute Lieblings-TV-Figur war. Volltreffer! A ls ich am Morgen meines Geburtstags
aufwachte, konnte ich gar nicht glauben, was ich da sah, und rieb mir verwundert die A ugen. So was Cooles hatte keiner bei uns in der
Gegend.
Und so hatte Erich es schließlich geschafft: Er stieg in meiner A chtung. Und wie! Ich schnappte mir mein neues Fahrrad und lief im Pyjama
raus damit auf die Straße. A ls ich den blinkenden Chromlenker anfasste, auf den Sattel stieg und in die Pedale trat, packte mich ein irres
Glücksgefühl. Ich spürte den Fahrtwind in meinem Gesicht und merkte, wie alle anderen Kinder mich auf einmal neidisch anguckten. Das war
einfach nur geil! Ich fuhr drei Runden um den Block und kam völlig außer A tem wieder in die Wohnung zurück. Meine Mutter sah mich streng
von oben an und sagte: »Patrick, jetzt bedanke dich doch mal anständig bei deinem neuen Papa!« Und kaum hatte sie diesen Satz
ausgesprochen, war es zwischen mir und Erich wieder vorbei. Mein neuer Papa? A uf keinen Fall! Ich presste ein kaltes »Danke« heraus und
drehte mich weg. »Der Junge ist eifersüchtig«, belächelte meine Mutter die angespannte Situation. Für mich dagegen gab es von diesem Tag
an nichts mehr zu lachen. Ich wollte keinen neuen Vater. Niemals.
Wenige Tage nach meinem Geburtstag zwang mich meine Mutter dazu, Erichs Nachnamen anzunehmen. Vorher hatte ich natürlich geheißen
wie mein leiblicher Vater, aber weil der für meine Mutter ja gestorben war, ging das nun nicht mehr. Sie wollte meinen Vater für immer aus
ihrem Leben streichen und nicht einmal durch seinen Namen an ihn erinnert werden. Und deshalb sollte ich von nun an auf den Namen
Patrick Losensky hören. Ich hatte keine andere Wahl. Ich wurde nach einem Mann benannt, den ich kaum kannte, nach einem Fremden. Ich
saß in meinem Zimmer und murmelte diesen Namen vor mich hin, ohne dass sein Klang etwas mit mir zu tun gehabt hätte, da spürte ich,
dass die Wut so mächtig in mir aufstieg wie niemals zuvor. Ich schlich mich heimlich aus der Wohnung, um draußen vor dem Haus die
Speichen aus meinem Mountainbike zu treten.
Bumsende Eltern
Unsere Bude in Lichterfelde war ziemlich klein. Wir lebten auf engstem Raum: Ich hatte zwar mein eigenes Kinderzimmer, aber meine Mutter
und Erich schliefen auf einer ausziehbaren Couch im
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