Im Dienste Der Koenigin
verzweifelt und todunglücklich die Zehnjährige in ihrem Versteck unter der Treppe. Céleste hielt es allmählich nicht mehr aus in dem kalten und finsteren Loch, ohne Speis und Trank. Außerdem tat ihr das Sitzen auf dem harten Steinboden weh - vor allem der krumme Rücken schmerzte schier unerträglich. Nicht einmal gerade stehen konnte sie in diesem niedrigen Verschlag.
Da hörte sie plötzlich das laute Rufen zweier Mägde.
»Céleste! Céleste, wo bist du?«, »Wo versteckt sich das kleine Ungeheuer bloß?«, »Wie sollen wir das verstockte Ding nur finden?«, »Meld dich doch, Céleste!«
»Da können sie lange schreien«, dachte die Kleine trotzig. Sie war einfach nicht in der Verfassung, ihrer geliebten Schwester Marie Adieu zu sagen: Es würde kein Wiedersehen geben, es war ein Abschied für immer und der würde ihr gewiss das Herz zerreißen. Tränen liefen dem Kind über die Wangen; es verkroch sich noch tiefer in seinen Schlupfwinkel, den es um nichts in der Welt verlassen wollte.
Erneut vernahm Céleste Rufe.
Diesmal war es allerdings die vertraute, liebliche Stimme Maries, die bis in ihr Versteck drang: »Céleste, mein Schatz, wo verbirgst du dich? Bitte, komm zu mir. Ohne dich gehe ich nämlich nirgendwohin! Céleste, Schwesterchen, bitte, bitte, komm her zu mir!«
Da hielt das Kind es nicht mehr aus. Ohne sich lange zu besinnen, krabbelte es mit steifen Gliedern umständlich aus dem staubigen Abstellkämmerchen unter der Stiege hervor. Wenn Marie nach ihr rief, dann war das etwas ganz anderes …
Die ältere Schwester hatte Célestes momentane Verfassung bereits vorhergesehen und alle Bediensteten angewiesen, nach
der Kleinen Ausschau zu halten. Sie war entschlossen, auf keinen Fall ohne Céleste das Schloss zu verlassen - war doch deren Begleitung die Bedingung gewesen, unter der sich Marie hatte erweichen lassen, dem Willen ihres Vaters nachzugeben.
»Komm mein Herzblatt, beeil dich, wir müssen die Kutsche besteigen, sobald du dich von unseren Eltern verabschiedet hast. Deine Sachen habe ich vorsichtshalber schon in einer Kiste verstauen lassen«, sagte Marie und lachte, als sie den strahlenden Gesichtsausdruck des kleinen Mädchens sah.
»Mon Dieu! Wie sieht die denn aus? Wie Aschenputtel persönlich«, entfuhr es dem Herzog, als seine Tochter Marie mit ihrer Halbschwester an der Hand überglücklich vor ihn hintrat.
»So kann sie unmöglich gehen! Lasst das kleine Monstrum wenigstens zuvor waschen und kämmen. Und zieht ihm den schmutzigen Fetzen aus - immerhin ist auch sie eine de Rohan«, rief der Herzog entnervt und überließ seine Bastardtochter den geschickten Händen seiner Gemahlin Gabrielle.
Hercule de Rohan-Montbazon war sehr verärgert über diese - seiner Meinung nach - unnötige Verzögerung; aber seine eigensinnige Tochter Marie hatte sich partout geweigert, ohne dieses bucklige Geschöpf mit dem weißblonden Engelshaar nach Paris zu reisen.
Am meisten ärgerte ihn, dass ausgerechnet die Begleitung durch diese »Missgeburt« die Bedingung der Zustimmung Maries zu ihrer Heirat gewesen war. Als ob sein väterlicher Befehl nicht genügt hätte!
»Aber vielleicht ist es ganz gut, wenn sie den Krüppel mitnimmt - hier im Schloss ist mir dieses elende Geschöpf lästig seit dem Tag seiner Geburt«, dachte der Herzog mitleidlos und hatte bereits im nächsten Augenblick sein Bastardkind - nur eines von vielen - aus seinem Gedächtnis gestrichen.
Und als ob Marie die Gedanken des Vaters hätte lesen können,
war sie jetzt erst recht froh über ihre Entscheidung, Céleste mitzunehmen. Sie liebte die Schwester, der das Schicksal so übel mitgespielt hatte, und war entschlossen, sie weiterhin zu beschützen. »Mein Gemahl soll es nur wagen, sie schlecht zu behandeln!«, dachte sie und verzog grimmig das Gesicht.
KAPITEL 4
DIE SICH ÜBER mehrere Tage hinziehende Kutschenfahrt nach Paris erlebten die beiden ungleichen Schwestern als ein einziges Abenteuer.
Über das Wetter konnte man sich zwar nicht beklagen; die miserablen Straßen Frankreichs jedoch, mit ihren ausgefahrenen Spurrinnen und tiefen Schlaglöchern, bescherten der ansehnlichen Reisegesellschaft mehrere nicht eingeplante Aufenthalte in Dorfgaststätten.
»Wenn es so weitergeht mit dem ständigen Geholper und Gerumpel werde ich mir sicher noch den einen oder anderen Knochen brechen«, unkte Marie und Céleste machte ihr spaßeshalber den Vorschlag, sich doch gleich auf den Boden der Kutsche zu setzen.
»Dann
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