Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
die Fenster im Westen drang, zu den Bäumen hin, die draußen im Wind wogten.
»Wir müssen zurück«, sagte sie.
»Nein.«
»Vielleicht ist sie noch ... Vielleicht braucht sie ...«
»Nein.«
Ich setzte sie auf die Bank an dem Zedernholztisch, ging hinunter in den Garten und suchte herum, bis ich das Funktelefon fand, das sie mit eingeschalteter Sendetaste ins Gras hatte fallen lassen. Doch bevor ich die Notrufnummer eingeben konnte, hörte ich von weitem Sirenen und sah Batist, der mit einer alten doppelläufigen Schrotflinte aus der Hintertür kam.
»Schon okay«, sagte ich. »Schick die Deputies rüber.«
Er schaute von mir zu Bootsie.
»Uns fehlt nichts, Batist«, sagte ich.
Er nickte, klappte seine Schrotflinte auf und ging, den offenen Lauf schräg über den Unterarm gelegt, die Auffahrt hinab, pulte mit dem Daumennagel die Cellophanhülle von einer Zigarre.
Ich legte die Hand an Bootsies Hals, spürte, wie naß ihre Haare waren und daß ihre Haut glühte wie ein Lampenschirm.
»Das geht vorbei«, sagte ich.
»Was?« Sie schaute mich ausdruckslos an.
»Dir ist gar nichts andres übriggeblieben. Wenn Clete dich nicht erreicht hätte, wäre ich tot.«
»Clete? Clete hat nicht ... Das Telefon hat drunten im Garten geklingelt, und jemand hat gesagt: ›Dave ist in der Klemme. Ich kann ihm nicht helfen. Ich bin jetzt zu weit weg. Du mußt das machen.‹«
»Wer?«
»Ich pack das nicht. Du hast gesagt, daß du in der Leichenhalle die Tätowierung auf seinen sterblichen Überresten gesehen hast. Aber ich kenn die Stimme, Dave. Mein Gott ...« Sie brachte den Satz nicht zu Ende. Sie preßte die Handballen an die Augen und fing an zu weinen.
37
Ich glaube, daß es Moleen Bertrand so ähnlich wie vielen anderen aus meiner Generation ging, die am Bayou Teche aufwuchsen. Wir mußten feststellen, daß wir in einem historischen Gefüge steckten, das wir niemals verstanden, von Windströmen dahingetragen wurden, die unser Ende bestimmten, nicht unseren Anfang – erst als provinzielle Überbleibsel der sterbenden arkadischen Kultur, später als Teil jener geschmähten neokolonialistischen Armee, die in einen Krieg auszog, dessen Ursprünge uns ebenso verborgen blieben wie die wirtschaftliche Bedeutung der französischen Mohnpflanzer.
Als wir uns endlich zurechtfanden, rissen wir damit ein Loch mitten in unser Leben.
Ich weiß nicht, warum Moleen sich ein Apartment an der Rampart Street dafür ausgesucht hatte, fast am Rande des French Quarter, nicht weit weg von Storyville, wo einst die Bordelle mit den hellhäutigen Negermädchen gestanden hatten, und dem Iberville Project, der Sozialsiedlung, in der Sonny aufgewachsen war. Vielleicht deswegen, weil diese Umgebung, die Palmwedel, die rostigen Eisengitter, die kunterbunten Pastellfarben, mit denen man den rissigen Putz und das bröckelnde Mauerwerk zu kaschieren versuchte, so absolut bezeichnend war für die Welt, aus der Moleen stammte – verlebt, bezaubernd noch im Verfall, scheinbar täglich wiedergeboren inmitten tropischer Blumen und der Gewitterschauer vom Golf, unlösbar verbunden mit einer verderbten Vergangenheit, die wir insgeheim bewunderten.
Um fünf Uhr morgens bekam ich einen Anruf von einem ehemaligen Kollegen, ebenfalls ein Alkoholiker, von der Mordkommission aus dem Präsidium des First District.
»Der Leichenbeschauer kann sie frühestens um acht wegschaffen lassen – nur für den Fall, daß du runterkommen und es dir anschauen willst«, sagte er.
»Woher weißt du, daß du mich verständigen mußt?« fragte ich.
»Deine Visitenkarte lag auf seinem Nachttisch. Die und der Führerschein waren alles, was er bei sich hatte. Jemand ist eingebrochen, bevor wir dort waren.« Er gähnte ins Telefon. »Was war er, ein Zuhälter?«
Der Flug mit der einmotorigen Maschine der Sheriffdienststelle dauerte nur eine halbe Stunde, aber der Tag heizte sich bereits auf, und in den Straßen war es schwül und stickig, als Helen Soileau und ich über den mit Ziegelsteinen gepflasterten Innenhof gingen und das kleine Apartment betraten, dessen Wände tiefrot gestrichen und mit schwarzen Samtbahnen verhängt waren, die lediglich die Fenster aussparten.
Moleen und Ruthie Jean lagen angekleidet auf dem Doppelbett – beide hatten durchsichtige Plastiktüten über den Kopf gestülpt. Ein Polizeifotograf nahm sie von allen Seiten auf. Jedesmal, wenn sein Blitzlicht losging, war es, als ob ihre Gesichter unter den Plastikfalten wieder zum Leben
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