Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Kriegsschauplätzen?«
»Meinst du die Stadt? So übel ist die gar nicht.«
»Ist sie doch.«
»Komm, trink ein Bier, iß ein paar Austern mit mir.«
Er sprach mit näselndem Akzent, wie die meisten aus einfachen Verhältnissen stammenden Menschen in New Orleans, deren Englisch von den Ende des neunzehnten Jahrhunderts eingewanderten Iren und Italienern beeinflußt war. Er lächelte mich an, stieß dann einen Schwall Luft aus dem Mund und schaute kurz die Straße auf und ab. Dann heftete er den Blick wieder auf mich, immer noch lächelnd – ein Mann, der seinem ureigenen Rhythmus folgte.
»Huch«, sagte er und tippte sich mit dem ausgestreckten Zeigefinger an die Stirn. »Hab ich vergessen. Ich hab ja gehört, daß du jetzt zu Versammlungen gehst. Hey, ich steh auf Eistee. Komm schon, Streak.«
»Warum nicht?« sagte ich.
Wir standen an der Bar im Pearl und aßen rohe Austern, die salzig und kalt waren und an deren Schalen Eissplitter hafteten. Zum Zahlen zog er eine mit einem dicken Gummiring umwickelte Geldrolle aus lauter Fünfzigern aus der Hosentasche. Unterkiefer und Nacken waren frisch rasiert und ausgeschoren und schimmerten regelrecht.
»Hast du’s nicht mal mit Houston oder Miami versuchen wollen?« fragte ich.
»Wenn anständige Menschen sterben, ziehen sie nach New Orleans.«
Doch das betont elegante Auftreten und die gute Laune waren nicht überzeugend. Sonny wirkte irgendwie angegriffen, leicht gehetzt, vielleicht auch ein bißchen ausgebrannt vom eigenen Schwung, war allzu wachsam, schaute sich ständig um und beobachtete die Tür.
»Erwartest du jemanden?« fragte ich.
»Du weißt doch, was Sache ist.«
»Nein.«
»Sweet Pea Chaisson«, sagte er.
»Aha.«
Er sah meinen Blick.
»Was denn, überrascht dich das?«
»Er ist ein bodenloser Scheißkerl, Sonny.«
»Ja, so kann man’s vermutlich ausdrücken.«
Ich bedauerte bereits, daß ich mich auf einen kurzen Abstecher in den schönen Schein von Sonny Boys Seifenblasenwelt eingelassen hatte.
»Hey, geh noch nicht«, sagte er.
»Ich muß zurück nach New Iberia.«
»Sweet Pea braucht bloß Sicherheiten. Der Typ ist weit nicht so schlimm wie sein Ruf.«
»Erzähl das seinen Mädchen.«
»Du bist ein Cop, Dave. Ihr erfahrt doch die Sachen immer erst hinterher.«
»Bis zum nächsten Mal, Sonny.«
Sein Blick war auf das Fenster zur Straße gerichtet. Er legte mir die Hand auf den Unterarm und schaute dem Barmann zu, der einen großen Krug Bier zapfte. »Geh jetzt nicht raus«, sagte er.
Ich schaute zur Glasfront. Zwei Frauen gingen vorbei, redeten aufeinander ein. Ein Mann mit Hut und Regenmantel stand an der Bordsteinkante, so als warte er auf ein Taxi. Ein kleiner, stämmiger Mann mit einem Sportsakko stellte sich zu ihm. Beide schauten auf die Straße.
Sonny Boy biß einen Niednagel ab und spie ihn aus.
»Sweet Peas Sendboten?« sagte ich.
»Ein bißchen ernster. Komm mit aufs Klo«, sagte er.
»Ich bin Polizist, Sonny. Keine faulen Sachen. Wenn du Zoff hast, rufen wir die hiesigen Cops.«
»Spar dir die Sprüche für Dick Tracy. Hast du deine Knarre dabei?«
»Was denkst du denn?«
Er ging in den hinteren Teil des Restaurants. Ich wartete einen Moment, legte meine Sonnenbrille auf die Bar, damit jeder wußte, daß ich zurückkommen würde, und folgte ihm dann. Er verriegelte die Toilettentür, hängte seine Jacke daran auf und schlüpfte aus seinem Hemd. Seine Haut sah aus wie Alabaster mit harten roten Kanten entlang der Knochen. Eine blaue Madonna in einem Kranz aus nadelspitzen orangen Strahlen war auf seine rechte Schulter tätowiert.
»Schaust du auf mein Tattoo?« sagte er und grinste.
»Eigentlich nicht.«
»Oh, die Narben?«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Zwei ehemalige Spezialisten von Somoza haben mich zu ’ner Sensibilisierungssitzung eingeladen«, sagte er.
Die Narben waren lila, dick wie Strohhalme und zogen sich kreuz und quer über Rippen und Brustkorb.
Er fummelte an einem schwarzen Notizbuch herum, das er mit Klebeband am Kreuz befestigt hatte. Mit einem Schmatzton löste es sich. Er hielt es in der Hand, so daß die Klebstreifen herunterhingen, als sei es ein ausgeschälter Tumor.
»Heb das für mich auf.«
»Behalt es selber«, sagte ich.
»Eine Frau bewahrt eine Fotokopie für mich auf. Du magst doch Poesie, Bekenntnisliteratur, lauter solchen Kram. Wenn mir nichts passiert, wirfst du es in die Post.«
»Was hast du vor, Sonny?«
»Die Welt ist klein geworden. Heutzutage hocken Menschen
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