Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
kannst. Trotzdem … Irgendetwas paßt nicht. Du hast auch was von einem selbständigen Unternehmer an dir. Erfolglos, natürlich.«
»Natürlich.«
»Aber dein grüner Hut verwirrt mich etwas. Der gibt dir was von einem Freiluftmenschen, als wärst du Ingenieur oder so.«
Unser Essen kam und ich war froh, daß eine kleine Pause entstand. Ich konnte sie brauchen, um die Eindrücke zu verdauen.
Hjalmar Nymark zerbrach das Flatbrød zwischen den Fingern, als wären es Oblaten, nur stippte er die Stücke in den Eintopf und teilte nicht an andere als sich selbst aus. Zwischen den Bissen setzte er seinen Monolog fort. »Ich sehe dich vor mir in einem kleinen Büro, sagen wir bei einer kleinen Engrosfirma in der Eisenwarenbranche. Eine Sekretärin kannst du dir kaum leisten, und ich glaube auch nicht, daß du besonders viel zu tun hast. Aber …«
Ich entschied, daß ich genug gehört hatte und sagte abrupt: »Ich bin Detektiv, Privatdetektiv.«
Einen Augenblick blieb er mit offenem Mund über seinem Teller sitzen. Dann schluckte er herunter, was er im Mund hatte, griff nach der Zeitung, die zusammengerollt neben ihm lag, schlug damit leicht an die Tischkante und sagte: »Teufel nochmal!«
»Das kannst du wohl sagen. Er hat das Büro nebenan, aber nicht mal der bequemt sich, ab und zu reinzuschauen!«
Er machte eine ausladende Handbewegung. »Na gut, aber dann solltest ja wohl du an diesem Tisch der Experte sein! Laß hören, was bin ich für einer?«
Ich warf einen raschen Blick auf ihn: weißes Hemd mit breitem Schlips, leicht fleckig; brauner Anzug im Schnitt der frühen 60er Jahre, nikotinverfärbte Finger und abgekaute Nägel. »Rentner!« sagte ich.
»Na gut. Aber davor?«
Ich zeigte mit der Gabel auf ihn. »Nach deiner Beobachtungsfähigkeit zu urteilen, warst du – Polizist.«
»Korrekt.«
»Na, dann sind wir ja wohl beide sowas wie Experten.«
»Ja, in gewisser Weise sind wir tatsächlich Kollegen.«
»Nur daß ich ziemlich heruntergekommen bin und du längst pensioniert.«
Eine zeitlang aßen wir stumm weiter. Dann sagte ich: »Wie lange bist du schon Rentner?«
»10 Jahre. Ich bin 1971 ausgeschieden.«
»Und wie vertreibst du dir die Zeit?«
In seinen Augen blitzte es und er sah mich mit einem unergründlichen Zug um den Mund an. »Schnüffle ein bißchen herum. Seh mir ein paar alte Fälle an. Ungeklärte!«
»Warst du in der Kriminalabteilung?«
»Mhm!« Er nickte und wir aßen weiter.
Mehr erzählte er an diesem Tag nicht, aber danach kam es oft vor, daß wir zusammen Mittag aßen oder ein Glas Bier tranken.
3
Ich führte zu der Zeit ein regelmäßiges Leben. Fünf Tage in der Woche war ich im Büro. Ich machte ein paar Jobs für eine Versicherungsgesellschaft. Das brachte mir genug Geld ein, um den Kopf über Wasser zu halten, jedenfalls solange Ebbe war. Drei-viermal in der Woche machte ich einen Abstecher ins Lokal und saß dann meistens lange und redete mit Hjalmar Nymark. An den anderen Abenden der Woche joggte ich: die ewig gleichen, langen Touren über Schotter und Asphalt, bei Sonne, Regen und Schneematsch. Die Biere, die ich in der Kneipe trank, zogen meistens noch ein paar Schnäpse aus der Aquavitflasche, die ich zuhause stehen hatte, nach sich, aber die harten Lauftouren schafften den Ausgleich: wenn ich schon verkam, dann jedenfalls langsam. An jedem zweiten Wochenende hatte ich Besuch von Thomas, der zehn Jahre alt geworden war, mich mit gebildeten, ernsten Augen ansah und mir von Fußballspielen erzählte, die ich nicht gesehen hatte und von Büchern, die ich nicht gelesen hatte. Die Ehe mit Beate wurde allmählich zu einer ähnlich entfernten Erinnerung wie die Orte, an denen ich die Sommer meiner Kindheit verbracht hatte. Das größte Ereignis in diesem halben Jahr, bevor ich Hjalmar Nymark traf, war, daß der Zahnarzt, der seine Praxis neben mir hatte, eine neue Assistentin bekam. Nach ein paar Wochen lächelte sie mich an, wenn wir einander auf dem Gang begegneten.
Der Sommer fand Anfang Mai statt. Die plötzliche Wärme legte die Stadt lahm und die Leute liefen mit glühend-roten Gesichtern herum und sehnten sich nach der Kälte zurück. Ihr Wunsch wurde erfüllt. Um den 17. Mai herum war der Sommer vorbei und das graue Wetter wieder da. Nach ein paar Tagen war es, als hätte die Sonne nie geschienen, und als würde sie es auch nie wieder tun.
An einem dieser Tage, an denen der Himmel wie eine graue, nasse Wolldecke über der Stadt lag, rief ein Mann an, der seinen Namen nicht nennen
Weitere Kostenlose Bücher