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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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braunrote Hitzeblüte entfaltete.
Hjalmar Nymark saß in einem tiefen, braunen Sessel mit hellen Armlehnen aus lackiertem Holz. Ich saß in einem graugrünen, rundherum gestopften Stuhl. An der einen Wand stand neben dem Büffet ein hölzerner Sprossenstuhl und zwischen uns ein kleiner Tisch mit einem abgenutzten Läufer in der Mitte, Auf dem Büffet standen ein paar Familienportraits, alt und vergilbt, und daneben lagen auf einem Haufen eine Handvoll zerlesener, eselsohriger Schundromane. Neben dem schwarzen Kachelofen ein Stapel Zeitungen und eine leere Brennholzkiste. Eine hellgrüne Tür führte in das hintere Zimmer. Neben der Tür stand ein Fernsehapparat und auf dem Boden ein schwarzes Kofferradio.
»Du siehst dich um?« sagte Hjalmar Nymark.
»Alte Gewohnheit.« sagte ich und lächelte schief. Er nickte.
»Das kenn ich. Solche Wohnungen erzählen oft mehr über ihre Bewohner, als denen lieb ist. Ein guter Kriminalbeamter nimmt immer eine Tatortbesichtigung vor, nicht nur, um eventuelle Indizien zu finden, sondern auch um sich ein Bild zu machen von – den Betreffenden.«
Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und sagte: »Wie du siehst, bin ich Junggeselle. Hier gibt es keine Blumen, keine Körbe mit Wollknäulen, keine Schalen mit Obst drin, keine Bilder der Enkelkinder an der Wand. Die dort drüben sind meine Eltern, längst verstorben. Das hier ist kein Zuhause, sondern ein Ort, an dem ich übernachte. Schutz suche vor Regen. Und einen trinke. Skål nochmal, Veum.«
Ich hob mein Glas und nahm einen ordentlichen Schluck.
Er zögerte etwas. »Warst du jemals verheiratet?«
Ich nickte still.
»Hast du Kinder?«
»Eins. Einen Jungen.«
»Vielleicht ist das die größte Entbehrung.« Er hatte kein Licht gemacht und im Halbdunkel war sein Gesicht dunkler, fast südländisch im Kontrast zu dem grauweißen Haar. Wenn du es gerade von vorn sahst, wirkte es viereckig, wegen der markanten, soliden Kiefer und der breiten Stirnpartie. Die Haut spannte sich über seinen massiven Gesichtsstrukturen und er beugte sich mit schwarzen Augen zu mir vor.
Dann richtete er sich wieder auf und sagte mit nüchterner Stimme:
»Ab und zu, wenn ich im Nordnespark spazierengehe und mich auf eine Bank setze, um mich ein wenig auszuruhen, kommt so ein kleiner Fratz zu mir herüber. Einer, der mit seiner Mutter spazierengeht. Er kommt auf kurzen Beinen angetappst und kann so eben laufen, lacht und streckt dem alten Mann, der da auf der Bank sitzt, die Arme entgegen. Ich hebe ihn hoch und setze ihn aufs Knie und er zieht mich an der Nase, lacht. Oder er will runter und hin zur Mutter, weil der alte Mann plötzlich zu nah ist. Und die Mütter lächeln, dieses stolze Lächeln, das alle Eltern kleiner Kinder haben, wenn die Kinder nicht schreien. Und sie gehen weiter. Dann begreife ich, was ich ver … wie alt ist dein Junge?«
»Zehn.«
»Du bist geschieden?«
Ich nickte wieder.
»Ab und zu habe ich lange überlegt, – was schlimmer ist. Einmal glücklich verheiratet gewesen zu sein, um dann geschieden zu werden, oder das ganze Leben allein gelebt zu haben, ohne jemals etwas wirklich mit jemandem zu teilen.«
»Das ist sicher unterschiedlich«, sagte ich. »Plötzlich wieder allein zu sein kann sowohl Schock als auch Befreiung sein. Nur, wenn das erste Erschrecken oder Freiheitsgefühl vorbei ist, dann bleibt trotzdem nichts als Einsamkeit. Aber ich glaube, ich habe irgendwie eine Form dafür gefunden, mittlerweile.«
»Aber es ist ein bitteres Leben, Veum. Wenn du siebzig geworden bist und nicht mehr so viele Jahre vor dir siehst, dann ist es bitter, das ganze Leben allein gelebt zu haben. Es ist … neunzehn Jahre her, daß ich zuletzt eine Frau hatte.« Sein Blick ging in die Ferne. »In einem kalten Hotelzimmer; eine Frau Ende vierzig in steifen Kleidern und so einem knisternden Unterrock, der von selbst auf dem Boden steht. Ich war in Haugesund mit einem Auftrag, und ich traf sie im Speisesaal, über einem Glas Bier. Später kam sie auf einen Drink mit aufs Zimmer und wir …« Er machte eine resignierte Handbewegung. Lakonisch fügte er hinzu: »Ich hätte auch andere haben können. Ich hätte mir eine Frau kaufen können, wie andere es tun. Aber …« Der Mund spannte sich zu einem harten Lächeln. »So sollte es nicht sein. Es sollte etwas sein, was man tat, weil man Wärme empfand für einen Menschen, um etwas mit ihm zu teilen.
Sonst war es ohne Wert. Und jetzt – jetzt ist es zu spät. 1962 – das ist neunzehn Jahre her, Veum.

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