Im eigenen Schatten
gefahren und habe alles erlebt, was man sich vorstellen kann. Einmal bin ich sogar überfallen worden.«
Am rechten Rand der Autobahn lag hinter einem rot-weißen Bauzaun einer der Bauabschnitte zur Erweiterung der Trasse, doch außer zwei Landvermessern in orangefarbenen Jacken und ihrem Gerät schien dort niemand zu arbeiten, obgleich die Erdschicht für den folgenden Unterbau der neuen Fahrspur längst abgetragen war.
Die Uhr zeigte fünf Minuten vor elf, als ein weiterer Lastwagen unvermittelt auf die linke Fahrspur ausbrach und der Fahrer des weißen Mercedes-Lieferwagens jäh abbremsen musste. Wütend betätigte er die Lichthupe. Die Tachonadel sank auf siebzig Stundenkilometer und fiel rapide weiter.
»Heute sind alle verrückt! Notier das Kennzeichen«, schrie er seinem Kollegen zu und hielt die Faust auf der Hupe. »Gib es durch. Die Bullen sollen hier endlich einmal durchgreifen. Scheißbulgare!«
»Sinnlos«, winkte der Beifahrer ab. »Die tun sowieso nichts. Hör auf zu hupen und halt mehr Abstand.« Er zog die Waffe aus dem Holster. »Wenn wir auf seiner Höhe sind, jag ich ihm einen Schreck ein.« Grimmig klopfte er mit dem Lauf der Beretta gegen das gepanzerte Seitenfenster, das in keine Richtung einen Schuss durchgelassen hätte.
»Tu das«, pflichtete ihm sein Kollege bei. »Aber ordentlich.«
»Macht keinen Mist«, mahnte die Stimme aus dem Laderaum.
Das schwere Fahrzeug vor ihnen hatte einen offenen Muldenauflieger und transportierte Schrott aus Gusseisenteilen. Dem Chauffeur schien das Leben anderer so egal wie das Lkw-Überholverbot und die ausgeschilderte Videoüberwachung der Trasse. Sehr langsam zog er endlich in die Mitte zurück, und es schien, als würde er allmählich doch die Fahrspur freigeben. Dann verlangsamte er befremdlicherweise weiter. Der Fahrer des Werttransporters scherte schließlich auf die Standspur aus, um ihn zu überholen, doch zog auch der Lastwagen nach rechts.
»Verfluchte Kacke«, schimpfte der Beifahrer. »Wenn wir wenigstens die Fenster öffnen könnten, dann würde ich dem Schwein ein paar Kugeln in die Reifen pusten.«
Sein Kollege bremste, der Abstand vergrößerte sich auf über hundert Meter.
»Gib einen Funkspruch durch«, rief der Mann aus dem Laderaum.
»Und was soll ich sagen? Ein Arschloch von vielen …«, zeterte der Beifahrer. »Lassen wir ihn davonziehen. Hinter uns ist ohnehin keiner mehr. Soll er sich austoben, und wenn ich ihn irgendwann einmal erwische, dann wird er sein blaues Wunder erleben. Darauf kann er sich verlassen.«
Schweißperlen rannen dem Fahrer von den Schläfen, als er plötzlich wieder heftig in die Bremse steigen musste. Abrupt hatte der Schwerlaster seine Fahrt verlangsamt, der Abstand zwischen den Fahrzeugen verringerte sich rasch. Zweihundert Meter voraus lag die Brücke bei Casali Bratta an der Provinzialstraße, die von Pampaluna nach Córgnolo führte, auf der ein riesiger Bagger stand. Dann hob sich langsam die Ladepritsche des Schwerlasters vor ihnen, und auf einen Schlag hagelten die ersten Teile Metallschrott auf die Autobahn, bis sich schließlich die ganze Ladung vor ihnen auftürmte, während sich die Pritsche wieder senkte und der Lkw erkennbar Fahrt aufnahm. Der Werttransporter holperte ein paar Meter über die Teile aus Eisenguss und kam direkt nach der Brücke zum Stehen. Mit kreideweißem Gesicht griff der Fahrer zum Mikrofon, doch bevor er das erste Wort hervorstoßen konnte, senkte sich eine riesige Baggerschaufel über den Mercedes-Transporter und stieß ihn um wie ein Spielzeugauto. Die Männer im Führerhaus wurden übereinander geworfen, der Beifahrer spürte den heißen Kaffee aus der Thermoskanne im Nacken, aus dem Laderaum drangen die Schreie des Kollegen, der von der umstürzenden Ladung begraben wurde. Die Karosserie kreischte, als fühlte sie Schmerz, während die Baggerschaufel das auf der Beifahrerseite liegende Gefährt zum Fuß der Brücke bugsierte und schließlich mit einem Hieb das gepanzerte Seitenfenster sprengte. Die gleißende Sonne fiel in den Transporter, ein Maskierter warf eine Gasgranate hinein. Im dichten Qualm rangen die Sicherheitsleute um Atem, während eine kaum verständliche Stimme aus dem Lautsprecher des Funkgeräts krächzte.
»Zu viel Action auf zu großem Gebiet«, hatte der Direktor zum Abschluss der letzten Einsatzbesprechung gesagt. »In dieser friedlichen Gegend sind nicht genug Beamte stationiert, und bis die Verstärkung bekommen, sind wir längst über
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