Im eigenen Schatten
Erzengel hingegen stieg auf der Brücke in einen gestohlenen Wagen mit slowenischem Kennzeichen, als die Einsatzfahrzeuge an dem Schrott auf der Fahrbahn vorbeimanövrierten; einer der Streifenwagen stoppte. Auf dem Kirchplatz von Córgnolo tauschte er den Wagen und traf zwanzig Minuten später am Flughafen Ronchi dei Legionari ein, wo er eilig eincheckte. Jo und Tomaž standen bereits in der Schlange vor der Sicherheitsschleuse. Pek und Beppe tranken an der Bar dahinter einen Espresso. Einstein und den Direktor entdeckte er aber erst, als der Shuttlebus zum Flugzeug bereits vorgefahren war. Sie trugen Anzug und Krawatte.
Knapp, dachte der Erzengel. Verdammt knapp.
11 Uhr 24. Der Sattelschlepper verließ die Autobahn bei Gemona und bog in einen Waldweg ab. Nachdem Ignaz Pixner aus dem Führerhaus gestiegen war und dann die Ladeluke geöffnet hatte, warfen seine vier Kumpane den bewusstlosen dritten Sicherheitsmann von der Pritsche. Die blutverkrusteten Beine des Schwerverletzten standen unnatürlich von seinem Körper ab, die Hände waren ihm auf den Rücken gefesselt.
Mit flinken Handgriffen zogen die Männer den türkischen Schriftzug, der übersetzt »Danke schön, Italien« lautete, vom Auflieger ab und beklebten das Gefährt eilig mit riesigen bunten Punkten, als transportierte er Fruchtdragees. Das neue Kennzeichen stammte aus Wien. Die Barren reinen Goldes, von denen jeder Einzelne etwas kleiner war als ein Tetra Pak mit Milch und je zwölfeineinhalb Kilo wog, hatten die Männer während der Fahrt in Holzkistchen umgepackt, die sonst für edle Flaschen vorgesehen waren. Eines nach dem anderen wurde in zwei Lieferwagen eines Großwinzers aus dem Collio verladen. Die Ladepapiere wiesen einhunderteinundzwanzig Flaschen Ribolla Gialla aus. Das Gewicht war beachtlich, das Ladevolumen klein. Über die Landstraße fuhren die Lieferwagen Richtung Udine und von dort weiter über Palmanova in Richtung Grado. Um 11 Uhr 50 setzte Ignaz den Sattelzug wieder in Bewegung und fuhr zurück auf die Autobahn nach Norden. Die vier anderen Banditen teilten sich zwei Kleinwagen und überholten ihn schon bald.
Wer hatte die strenge Geheimhaltung unterlaufen? In der Zentrale des Werttransportunternehmens in Vicenza herrschte Panik, die Mailänder Versicherungsgesellschaft hatte umgehend einen Spezialisten auf den Weg geschickt. Auch bei der Banca d’Italia war Alarm ausgelöst worden. Die Polizeipräsidien im Nordosten ordneten Straßensperren an und schickten alle verfügbaren Streifenwagen hinaus. Schon eine Dreiviertelstunde nach dem Ausbleiben der regelmäßigen Signale des Peilsenders auf dem Dach des Werttransporters waren im Umkreis von hundert Kilometern alle Verkehrsadern abgeriegelt, lange Staus bildeten sich vor den Kontrollposten. In den Nachrichtensendungen hatte die Meldung über den Coup die Rebellion in Libyen und Ägypten auf die hinteren Ränge verwiesen, und über die Zeremonie in Aquileia wurde erst vor der Wettervorhersage berichtet. Den Wert der Beute bezifferte man auf über fünfzig Millionen Euro. Der Sprecher lieferte in dramatischem Tonfall eine genaue Beschreibung des türkischen Sattelschleppers, von dem vermutet wurde, dass sein Ziel der Hafen von Triest war, von dessen Molen jährlich Hunderttausende Lkw Richtung Istanbul verschifft wurden. Die Überlebenschancen der Sicherheitsleute aus dem Begleitfahrzeug hingen angeblich an einem seidenen Faden.
Drei Wagen der Polizia Stradale rasten mit Blaulicht und Sirene an Ignaz Pixner vorbei und blockierten am nächsten Rastplatz die Fahrspuren, wo sie den Verkehr zur Kontrolle ausleiteten. Drei Männer, in kugelsicheren Westen und mit Maschinenpistolen bewaffnet, standen am Rand, während die anderen noch die Markierungen aufstellten, mit denen sie die Durchfahrt verengten. Den nächsten Sattelzug zogen sie bereits heraus.
Knapp, dachte Naz und schob die Transportpapiere wieder hinter die Sonnenblende. Das war verdammt knapp. Oder war es etwa das perfekte Timing, von dem der Direktor immer wieder während der vergangenen zwei Wochen geredet hatte? Er betastete den dicken Umschlag in seiner Jackentasche.
Um dreizehn Uhr dreißig parkte er das Gefährt jenseits der Grenze auf dem Autobahnrastplatz Dreiländerecke. Ab Freitagabend herrschte Fahrverbot für den Schwerlastverkehr. Niemand würde sich darüber wundern, wenn der Sattelzug übers Wochenende dort stehen bliebe. Naz ging zur Raststätte und bestellte ein kleines Bier. Die
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