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Im Glanz Der Sonne Zaurak

Im Glanz Der Sonne Zaurak

Titel: Im Glanz Der Sonne Zaurak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Schweigende Engel. Beides Worte aus seiner Gedankenwelt. Als Engel bezeichnet der Verstand die Empfindung oder Vorstellung von einem überirdischen, mythologischen Wesen – also existiert solch ein Wesen auch in der Begriffswelt der Feuersöhne. Aber warum schweigend? Sie veranstalten im Gegenteil einen Höllenspektakel!
    „Wir nennen sie Schweigende Engel, weil sie nicht zu uns sprechen dürfen, obwohl sie doch einst Feuersöhne waren. Anouf, der Herr des Großen Feuers, das den Tag erhellt, gestattet es ihnen nicht. Wir wissen nicht, warum, aber Anouf ist weise, und was er tut, hat einen Sinn!“ beantwortet Ak Gorans Gedanken.
    Zwei der unentwegt zirpenden Gesellen umflattern neugierig Gorans Kopf und lassen sich auf seinen Schultern zutraulich nieder. Niedliche Tierchen, aber gewiß keine Artverwandten der Feuersöhne, denkt Goran. Er hat gelernt, bestimmte Gedanken in einem Winkel seines Gehirns zu verarbeiten, der den Feuersöhnen unzugänglich ist. So verstehen sie nicht alles, womit sein Verstand sich beschäftigt. Oft aber vergißt er die Vorsichtsmaßregel, und es hat schon manches Mißverständnis gegeben. Entgegen kommt seiner Geheimhaltung, daß es für die meisten Begriffe seiner Denkweise kein analoges Gege n stück in der Sprache der Feuersöhne gibt. So lösen Wörter wie Erde, Weltall, Biologie, Kunst bei ihnen nur Verwirrung aus. Gebraucht er versehentlich im Umgang mit ihnen einen dieser ihren insgesamt doch recht bescheidenen Wortschatz weit überfordernden Begriffe, antworten sie stereotyp: „Anouf ist weise, du bist Anoufs Sohn.“
    Plötzlich erhebt sich ein druchdringendes wehleidiges G e schrei am äußersten Rand der Kolonie Schweigender Engel. Ein Schwarm flattert aufgeschreckt hoch. Da springt ein abstoßend aussehendes Tier aus dem Gebüsch. Ein walzenfö r miger, plumper Körper auf sechs kurzen dicken Pfoten, ohne Kopf, dafür mit einem weit aufgerissenen Rachen an der Vorderseite, über dem zwei winzige Fünkchen blitzen. Aus dem schwarzen Schlund ragt ein sichelförmig gebogener, nadelspitzer Reißzahn, der blutigrot glänzt. „Ein Rotzah n schleicher!“ erläutert Ak.
    Das Raubtier hat sich mitten in die Kolonie gestürzt, und Goran sieht kleine, tolpatschige Jungtiere ängstlich durche i nandertrippeln. Noch ehe er den Werfer herausgerissen hat, ertönt zweimal kurz ein dumpfes Fauchen. Wie Spritzer glühender Lava schießen zwei Feuerstrahlen aus dem nahe gelegenen Gebüsch und zerfetzen den Rumpf des Angreifers. Zurück bleibt nur ein widerlich stinkender, verkohlter Kadaver.
    Ein dunkler Schatten kriecht lautlos aus dem Gebüsch, ein Feuersohn. Er wendet sich Ak und Goran zu und verschließt grüßend die Mundöffnung mit den Kieferzangen. Dann zerrt er den Leichnam des Räubers ins Dickicht und zeigt sich nicht mehr.
    „Das ist ein Wächter“, erklärt Ak. „Du siehst, Sohn Anoufs, die Söhne des Feuers halten Wort.“
    Die Aufregung unter den Tierchen legt sich augenblicklich. Fröhlich zirpend umschwirren sie das seltsame Paar. Goran staunt. Was mag die Feuersöhne dazu veranlassen, diese Flugwesen zu schützen und sogar Wächter aufzustellen? Wie ist dieser merkwürdige Glaube entstanden? Wie war das mit der heiligen Speise?
    Er beobachtet, wie einige der Schweigenden Engel im Stur z flug durch kleine Öffnungen im Boden tauchen. Sind das ihre Wohnhöhlen, ihre Behausungen? fragt er sich. Einen Auge n blick lang hat er vergessen, daß sich dort unten, hundert Meter tiefer, eine zweite, düstere Welt befindet. Als die Tiere wieder auftauchen, haben sie ganze Bündel fadenförmiger weißer Würmer im Maul.
    „Die heilige Speise!“ sagt Ak ehrfürchtig. „Die Schweige n den Engel dürfen sie zu sich nehmen, wann sie wollen. Uns dagegen hat Anouf, der Herr des Großen Feuers, das den Tag erhellt, befohlen, die heilige Speise nur nach der Stunde der Verheißung zu essen. Bald ist es wieder soweit!“
    Verständnislos schüttelt Goran den Kopf. Welch ein Unfug! Gewöhnliche Würmer. Er versucht sich an die Legende zu erinnern, die Ak ihm erzählte. Vor einiger Zeit sind wah r scheinlich die Beutetiere der Feuersöhne verschwunden, vielleicht durch eine ökologische Katastrophe. Daraufhin fraßen sie in ihrem Hunger offensichtlich diese Würmer, von denen sich auch die Schweigenden Engel ernähren. Womöglich standen sie kurz vor dem Aussterben! Die Tatsache, daß sie sich erholten, deuteten sie als göttlichen Gnadenbeweis. Daraus kann schon eine Religion entstehen.

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