Ich klage an
Einleitung
Nach den Anschlägen auf die Vereinigten Staaten vom ll. September 2001 richtete der Westen zahllose Appelle an die Muslime, sich auf ihre Religion und ihre Kultur zurückzubesinnen. Muslime haben auf diese Aufforderung mit Empörung reagiert. Sie hielten es für unangebracht, für das verbrecherische Verhalten von neunzehn jungen Männern verantwortlich gemacht zu werden. Der amerikanische Präsident Bush, der britische Premier Blair und zahlreiche andere westliche Politiker forderten die muslimischen Organisationen in ihren Ländern dazu auf, sich von dem Islam zu distanzieren, wie ihn die neunzehn Terroristen predigten. Daß die Attentäter der Anschläge vom 11. September Muslime waren und Muslime auf der ganzen Welt auch schon vor diesem Tag einen ungeheuren Haß vor allem gegen die Vereinigten Staaten hegten, hat mich dazu gebracht, den Glauben, in dem ich erzogen wurde, auf die Wurzeln des Bösen hin zu untersuchen: Steckt die Aggressivität, der Haß, im Islam selbst?
Ich wurde von meinen Eltern zur Muslima erzogen - zu einer guten Muslima. Der Islam beherrschte das Leben unserer Familie und unserer Verwandten bis in die kleinsten Kleinigkeiten. Der Islam war unsere Ideologie, unsere Politik, unsere Moral, unser Recht und unsere Identität. Wir waren in erster Linie Muslime und erst danach Somalier. Mir wurde beigebracht, daß der Islam uns vom Rest der Welt unterscheidet, von den Nichtmuslimen. Wir Muslime sind von Gott auserwählt. Die anderen, die Kuffar, die Ungläubigen, sind asozial, unrein, barbarisch, nicht beschnitten, unmoralisch, gewissenlos und vor allem obszön; sie haben keine Achtung vor Frauen; ihre Mädchen und Frauen sind Huren, ihre Männer homosexuell, Männerund Frauen haben Sex, ohne miteinander verheiratet zu sein. Die Ungläubigen sind verflucht, und Gott wird sie im Jenseits überaus grausam bestrafen.
Als meine Schwester und ich klein waren, sprachen wir gelegentlich über nette nichtislamische Menschen, aber dann sagten meine Mutter und meine Großmutter immer: »Nein, das sind keine guten Menschen. Sie wissen, daß es den Koran und den Propheten und Allah gibt, und sind doch nicht zu der Einsicht gelangt, daß ein Mensch nur ein Muslim sein kann. Sie sind blind. Wenn sie solch nette und gute Menschen wären, dann wären sie muslimisch geworden und Allah würde sie vor dem Bösen behüten. Aber es liegt bei ihnen. Wenn sie Muslime werden, kommen sie ins Paradies.«
Es gibt auch Christen und Juden, die ihre Kinder in dem Bewußtsein erziehen, sie seien von Gott auserwählt, aber unter Muslimen besteht ein noch viel umfassenderes Gefühl, daß Gott ihnen eine besondere Seligkeit zugedacht habe.
Vor ungefähr zwölf Jahren kam ich nach Westeuropa, auf der Flucht vor einer Zwangsehe. Schnell lernte ich, daß Gott und seine Wahrheit hier menschenwürdig gestaltet sind. Für Muslime ist das Leben auf Erden nur ein Durchgang zum Jenseits; hier im Westen dürfen Menschen auch in ihr Leben auf Erden investieren. Außerdem scheint die Hölle abgeschafft zu sein, und Gott ist eher ein Gott der Liebe als ein grausamer, strafender Herrscher. Ich begann meinen eigenen Glauben kritischer zu betrachten und entdeckte drei wichtige Elemente des Islam, die mir früher nicht besonders aufgefallen waren.
Das erste Element ist die Beziehung eines Muslims zu seinem Gott: Sie ist angsterfüllt. Der Gottesbegriff des Muslims ist absolut. Unser Gott fordert völlige Hingabe. Er belohnt den Gläubigen, wenn dieser seine Gebote bis in die kleinsten Einzelheiten befolgt. Er straft grausam, wenn man seine Gebote Übertritt, auf der Erde mit Krankheiten und Naturkatastrophen, im Jenseits mit dem Höllenfeuer.
Das zweite Element ist, daß der Islam nur eine einzige Quelle für seine Moral kennt: den Propheten Mohammed. Mohammed ist unfehlbar. Man könnte fast meinen, er sei selbst ein Gott, aber der Koran sagt ausdrücklich, daß Mohammed ein Mensch ist - aber er ist der beste Mensch, der perfekteste Mensch, gottähnlich. Wir müssen nach seinem Vorbild leben. Im Koran steht das, was Mohammed sagte, daß Gott ihm gesagt habe, ln den Tausenden Ahadith - Zeugnissen dessen, was Mohammed gesagt und getan, welche Ratschläge er gegeben und uns in dicken Büchern hinterlassen hat - steht genau, wie ein Muslim im siebten Jahrhundert leben mußte. Fromme Muslime suchen darin täglich Antworten auf ihre Fragen, wie sie im einundzwanzigsten Jahrhundert leben sollen.
Das dritte Element ist die Dominanz
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