Im Kerker der schönen Justine
sehen.
Sie schaute sich zuerst das Gesicht an.
Lilian Smith war mit Leib und Seele Krankenschwester. Dazu gehörte es auch, dass sie sich mit den Menschen beschäftigte, die unter ihrer Obhut standen.
So war es auch bei Cecil Frazer. Sie kannte ihn sehr genau, zumindest vom Äußerlichen her, und so sah sie auch, dass er anders aussah. Hätte sie ihn nicht tagtäglich gesehen, wäre ihr das nicht aufgefallen, so aber bemerkte sie die Blässe in seinem Gesicht, die eingefallenen Wangen, eine Haut, die dünner geworden zu sein schien.
Es kam ihr komisch vor...
Sie bedauerte es, ihm nicht in die Augen schauen zu können, die aber blieben verschlossen.
Wieder merkte sie das Zittern in ihren Knien, und sie musste sich wirklich zusammenreißen, um ruhig stehen zu bleiben.
Verändert hatte er sich...
Aber wieso? Was war passiert? Es musste etwas mit ihm passiert sein, und zwar genau in der Zeit, in der er aus diesem Krankenzimmer entführt worden war.
Für sie gab es keine andere Alternative, und genau darum drehten sich ihre Gedanken. Warum hatte man ihn entführt, und was hatte man mit ihm angestellt?
Zentimeter für Zentimeter untersuchte sie seinen Körper. Ihr Blick glitt tiefer, sie schlug auch die Decke weiter zurück, ohne dass er es merkte.
Er trug keinen Schlafanzug, sondern ein Krankenhausnachthemd.
Plötzlich stutzte sie.
Die Flecken waren nicht zu übersehen. Zwei an jeder Seite. Aber nicht auf der Brust, diesmal waren die Arme in Mitleidenschaft gezogen worden, und zwar an den Innenseiten der Ellenbogen.
Was war das?
Lilian Smith beugte sich noch weiter vor, um besser sehen zu können. Nun erkannte sie die kleinen Wunden, und sie war Fachfrau genug, um zu wissen, woher sie stammten. Sie musste davon ausgehen, dass sie von irgendwelchen Einstichen herrührten, und es stand für sie fest, dass sie am gestrigen Tag noch nicht zu sehen gewesen waren.
Also heute.
Lilian Smith richtete sich wieder auf, und ihr Gesicht zeigte einen sehr nachdenklichen und zugleich starren Ausdruck. Hinter ihrer Stirn arbeiteten die Gedanken, es kam erneut zu einem Schweißausbruch, als ihr klar wurde, was da passiert war.
Jetzt gab es nichts mehr daran zu deuteln. Dieser kranke Mensch war entführt worden. Mitten in der Nacht hatte man ihn abgeholt und wieder zurückgebracht, nachdem irgendetwas mit ihm passiert war.
Sie schloss für einen Moment die Augen, um sich vorstellen zu können, was da abgelaufen war.
Durch das Fenster hatte man Cecil Frazer bequem wegschaffen können. Zwar lag das Zimmer im ersten Stock, aber an dieser Seite befand sich ein breiter Anbau und dessen Dach lag nur einen halben Meter unterhalb des Fensters.
Cecil Frazer war geholt und wieder in sein Zimmer zurückgebracht worden. Aber was war in der Zwischenzeit mit ihm geschehen?
Darüber grübelte die Krankenschwester nach, wobei sie immer wieder an die vier geröteten Stellen in den beiden Ellenbogenbeugen dachte. Die hatten etwas zu bedeuten. Sie waren nicht grundlos erschienen. Jemand hatte sich an diesem Menschen zu schaffen gemacht.
Nur wer? Und welchen Grund konnten die Einstiche haben?
Der Mann war bleicher geworden. Sehr blass. Er wirkte auch matter, als wäre ihm etwas von seiner Kraft genommen worden. Lilian wollte sich darauf nicht festlegen, aber sie wusste sehr gut, dass sie den Begriff Kraft im übertragenen Sinne sehen musste. Genau da war die Lösung nicht mehr weit entfernt.
Noch ein paar Gedankendrehungen brauchte sie, um sich sicher zu sein. Ja, diese Einstichstellen waren für sie nicht neu. Lilian hatte sie schon öfter bei den Menschen gesehen, denen man Blut abgenommen hatte.
Genau das war der Knackpunkt!
Man hatte Cecil Frazer abgeholt oder entführt, um ihm das Blut abzunehmen.
Plötzlich konnte sie nicht mehr still sein. Beim Atmen saugte sie schlürfend die Luft ein. Ein Schwindelanfall überkam sie, als sie die Wahrheit immer deutlicher erkannte.
Cecil hatte viel Blut verloren. Davon ging sie aus. Doch wer hatte es ihm abgenommen? War das hier im Krankenhaus passiert? Sie wusste genau, dass Blutkonserven immer gebraucht wurden und oft zu wenig vorhanden waren. Aber wenn man ihm das Blut abgenommen hätte, dann hätte man ihn nicht erst durch das Fenster nach draußen schaffen müssen. Sogar bei einer illegalen Blutabnahme wäre das nicht nötig gewesen.
Lilian schaute zum Fenster, als würde man ihr dort die Lösung bekannt geben. Nein, dahinter lag nur die Dunkelheit. Für sie war wichtig, Bescheid zu
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