Im Kerker der schönen Justine
Schlussfolgerungen bekannt zu geben, aber sie traute sich nicht. Eine innere Stimme hielt sie davon ab, das zu tun. Sie hatte das Gefühl, in einem tiefen Loch zu versinken, aus dem sie erst wieder herauskriechen musste.
So entschied sie sich, dem Arzt auf halbem Weg entgegenzukommen, und sagte mit leiser Stimme: »Mr. Frazer kam mir so verändert vor. Er ist so blass gewesen, und die Wangen wirkten auf mich eingefallen. Deshalb wollte ich nach ihm schauen.«
»Verstehe.« Der Arzt legte eine Pause ein und blickte sie erst mal an. Sein Blick war kalt und abschätzend . Hinter den Gläsern der Brille wirkten die Augen wie aus Eis geformt, und Lilian merkte, dass ihr Herz schneller pochte.
»Ja, Sir, so war es.«
»Schon gut. Ist Ihnen denn etwas aufgefallen? Ich meine, das war schon vorher der Fall. Aber haben Sie Details herausfinden können, die Sie weiterbringen?«
Vorsicht! Jetzt keinen Fehler machen. So schrillte es durch ihren Kopf.
»Nein, eigentlich nicht«, murmelte sie.
»Eigentlich?«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich habe noch keine Zeit gehabt, mich darum zu kümmern. Ich bin erst zu kurz hier gewesen. Nur eben die Blässe, und ich möchte nicht, dass sich der Zustand verschlechtert.«
Das Gespräch zwischen ihnen war leise geführt worden, damit der Patient nicht geweckt wurde. Dennoch war der Krankenschwester der Unterton in der Stimme nicht entgangen. Dieser verdammte Arzt wusste mehr, als er zugeben wollte.
»Bitte, ich möchte...«
»Was möchten Sie?«, unterbrach Bonham sie.
»Gehen.«
Der Arzt lachte leise. »Haben Sie genug gesehen? Wissen Sie jetzt, was passiert ist?«
»Ja, schon. Und ich sehe ein, dass ich den Patienten am besten weiterschlafen lassen sollte. Vielleicht können wir ihn morgen an den Tropf anschließen und ihm eine Nährlösung geben.« Sie räusperte sich. »Das wäre zumindest eine Lösung für mich.«
»Morgen?«
»Ja!«
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Morgen wäre es zu spät«, erklärte er. »Ich würde für eine andere Lösung plädieren.«
Lilian Smith war von dieser Antwort überrascht worden. Sollte sie sich tatsächlich in Dr. Bonham getäuscht haben?
Sie versuchte es mit einem Lächeln. »Gut, wenn Sie es für richtig halten, dann versuchen wir es jetzt. Es ist unter Umständen auch besser, finde ich.«
»Nein, das werden wir auch nicht machen.«
»Aber was... was... dann?«
Dr. Bonham griff in die Tasche seines Kittels. Er zog die Hand sehr schnell wieder hervor, und die Krankenschwester konnte nicht glauben, was sie sah.
Der Arzt hielt eine Pistole in der Hand, deren Mündung direkt auf Lilian Smith gerichtet war!
Sprechen konnte sie nicht. Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Sie hatte richtig getippt. Es war alles perfekt gewesen. Es hatte gestimmt. Dr. Bonham hatte etwas mit der Veränderung des Kranken zu tun. Er wusste genau Bescheid, und nun brachte er praktisch den Beweis dafür, dass Lilian sich bei ihrem ersten Betreten des Krankenzimmers nicht getäuscht hatte.
Da war der Patient verschwunden gewesen und war später wieder in sein Bett gebracht worden.
Sie ärgerte sich darüber, dass ihr Gesicht erneut sofort rot anlief. Auch der Herzschlag hatte sich beschleunigt. Sie kämpfte mit dem Schwindel, die Waffe verschwamm vor ihren Augen.
»Nun...?«
Lilian Smith hob die Schultern. »Ich... ich... weiß nicht, was das bedeuten soll? Warum bedrohen Sie mich? Was habe ich Ihnen getan, Sir?«
»Sie haben mir nichts getan, meine Liebe. Sie haben sich nur der Sache entgegengestellt, und genau das kann ich nicht dulden. Das müssen Sie verstehen.«
»Nein«, flüsterte sie, »das glaube ich nicht. Das kann ich auch nicht verstehen. Da habe ich meine Probleme, wenn ich ehrlich sein soll. Ich... ich weiß nicht...«
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Sie brauchen nicht mehr viel zu wissen, Schwester. Aber ich gebe Ihnen trotzdem Recht. Sie haben verdammt gut aufgepasst. Das kann sehr gut und positiv sein, war aber in diesem Fall nicht angemessen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wir können von einem Fehler sprechen. Sie waren eben zu besorgt, und deshalb musste ich reagieren.«
Lilian Smith senkte den Kopf. Sie biss sich dabei auf die Lippen. Ihr Blick flackerte, und sie wusste auch nicht, was sie noch sagen sollte.
»Wollen Sie die Wahrheit wissen, Schwester?«
»Ich weiß nicht, aber wenn Sie meinen...«
»Wir wollen doch offen zueinander sein.« Der Arzt lächelte, als
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