Im Königreich der Frommen (German Edition)
Frühling“ auch in Saudi Arabien
einzuziehen schien, bestanden folgerichtig einige saudische Prinzen
darauf, dass diejenigen, die protestieren wollten, zu ihnen kämen
und ihre Probleme und Änderungsvorschläge vortrügen.
Wie seit eh und je ständen ihre Türen allen offen. Hatten
sie sich nicht immer gut um ihre Landsleute gekümmert?
Angesichts von
zwanzig Millionen saudischen Bürgern schien das natürlich
obsolet und angesichts der riesigen Demonstrationen in Tunesien und
Ägypten schien der Vorschlag, dass die wütenden Massen um
eine Audienz bei ihren Prinzen baten, bevor sie sie in die Wüste
schickten, einfach nur lächerlich. Aber so hatten es die Al
Saud immer gemacht. Warum sollten sie das System nun auf einmal
ändern?
Doch von Anfang an.
Um das Verhältnis der Al Saud zu ihren Untertanen zu verstehen,
müssen wir zu den Anfängen der Königsfamilie
zurückgehen. Wie sie ihre Macht über die Arabische
Halbinsel ausdehnte, ist aufschlussreich. Denn die Geschichte des
modernen Saudi Arabien beginnt so richtig erst mit dem waghalsigen
Überfall eines jungen Al Saud auf Riad im Jahr 1902. Damals war
dieser Überfall eine Mischung aus Beutezug und Bubenstreich,
heute aber gilt er als Gründungsakt des modernen Saudi Arabien.
Um das Verhältnis
zwischen der Religion und der Königsfamilie zu verstehen,
müssen wir sogar noch etwas weiter zurückgehen. Schon 1744
war es nämlich zu einer verhängnisvollen Begegnung
gekommen, die Saudi Arabien noch heute maßgeblich prägt.
Damals schloss d er
radikale islamische Geistliche Muhammad Abd Al Wahab einen Pakt mit
dem in Nejd herrschenden Emir der Al Saud-Familie, der bis heute
Bestand hat.
Im Zentrum des
wahabischen Islam steht die Einheit und Einzigartigkeit Gottes. Er
ist vor allem gegen die Sufi-Variante des Islam, mit lokalen
Heiligen, sowie deren Gräber und Schreinen gerichtet. Im Grunde
aber steht der wahabische Islam allem feindschaftlich gegenüber,
bei dem nicht die Anbetung Gottes im Zentrum steht.
Der Grundzug dieses
Paktes wirkt noch heute nach. Die Familien Al Saud und Al Wahab
verbanden sich durch Heirat. Die Al Sauds überließen den
Al Wahab, die sich heute schlicht Al Scheik, die Familie des
religiösen Gründervaters nennen, die religiöse
Autorität. Im Gegenzug verliehen die Al Scheik den Al Saud die
Legitimität des Herrschers, der die Lehre des reinen Islam
vertritt. Noch heute kommt im Königreich der oberste
Geistliche, der Groß-Mufti und gleichzeitig Vorsitzende der
Obersten Rates der Kleriker, fast immer aus der Familie der Al
Scheik.
In dieser Zeit im
18. Jahrhundert liegen die Anfänge der staatlichen Organisation
der Al Saud in Nejd, der Hochebene im Zentrum der Arabischen
Halbinsel. Mit ihren Erzrivalen, den Al Raschid aus dem Nord-Osten
der Halbinsel, mussten sie jedoch lange um die Vorherrschaft ringen.
Mehrere Male wurden die Al Saud von den Al Raschid aus Nejd, der
Gegend um Riad, geschasst.
Anfang des 19.
Jahrhunderts verbündeten sich die Al Raschid deshalb mit den
Türken. 1818 stürmten ottomanische Truppen die Hauptstadt
der Al Saud Ad Diriya und vertrieben sie von dort. Heute stehen die
Ruinen dieser ersten saudischen Hauptstadt in einem Vorort im
Nord-Westen Riads.
Deshalb bauten die
Al Saud ihre neue Hauptstadt Riad weiter südlich. 1891 wurden
sie jedoch wiederum von den Al Raschid von dort vertrieben. Die Al
Saud gingen ins Exil nach Kuwait, wo ihnen die Herrscherfamilie
Refugium gewährte. Dort wuchs der spätere saudische
Gründerkönig Abdulaziz auf. Ihren Unterhalt bestritten die
Al Saud durch Beutezüge nach Nejd, die Gegend um Riad.
Unter der Führung
des damals 21-jährigen Abdulaziz unternahmen die Al Saud im
Winter 1901 wieder einen dieser Beutezüge gegen die Al Raschid.
In der Wüste beschlossen die Reiter, ihn bis nach Riad
auszudehnen. Die heutige saudische Hauptstadt war damals ein kleines
Wüstendörfchen mit ein paar Lehmhäusern und einer
Garnison.
Zusammen mit
ungefähr fünfundzwanzig Männern überfiel
Abdulaziz die kleine Masmak-Festung in Riad. Zuerst stahl sich die
Gruppe in das Haus eines ihrer ehemaligen Diener gegenüber dem
Fort. Dann, am Morgen, als das Tor der kleinen Garnison geöffnet
wurde, griffen sie an.
Nach einem kurzen
Gefecht stieg der spätere erste saudische König Abdulaziz
auf die Mauern der eroberten Festung, stieß den abgeschlagenen
Kopf des Gouverneurs in die Höhe und warf ihn vor die Füße
der Zuschauer am Boden. Der moderne saudische Staat war
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