Im Königreich der Frommen (German Edition)
sie, aber kaum einer hat
sie je von Angesicht zu Angesicht gesehen. Sie schweben wie böse
Geister über dem Land, nach denen alles, Flughäfen,
Schulen, Universitäten, Straßen und Plätze, benannt
ist, weil sie angeblich alles persönlich gestiftet haben. Aus
ihrem eigenen Vermögen, nicht dem öffentlichen, ist
gemeint.
Das Szepter selbst
bleibt fest in der Hand der Söhne des Gründerkönigs.
Abdulaziz folgte sein ältester Sohn Saud, der jedoch das Image
eines Verschwenders, Playboys und Trinkers hatte. Zwei verfeindete
Lager im Königshaus bekriegten sich über elf Jahre, bis
Saud 1964 schließlich von Klerus und führenden Prinzen
für regierungsunfähig erklärt wurde und seinem
Halbbruder Feisal das Szepter übergeben musste.
Es folgten die
Könige Khaled und Fahd. Fahd war jedoch nach einem Schlaganfall
1995 kaum mehr zurechnungsfähig. Der heutige König
Abdullah war zehn Jahre lang Kronprinz und de facto Regent, bis er
nach dem Tod Fahds 2005 schließlich selbst König wurde.
Ihm gegenüber
standen ursprünglich sechs nach ihrer Mutter von den Medien oft
„Sudairi-Brüder“ genannte Prinzen in Top-Positionen
des Königreiches und machten ihm das Leben schwer. Der älteste
ist Mohammed, bis 2012 Gouverneur der ölreichen Ost-Provinz;
dann folgt Sultan, der Verteidigungsminister und Kronprinz. Er ist
im Herbst 2011 gestorben; danach kommt Naif, der Innenminister und
stellvertretende Kronprinz. Er ist von uns gegangen im Sommer 2012;
sowie Salman, der seit 1962 Gouverneur von Riad war und inzwischen
Kronprinz ist. Die Sudairi-Brüder gelten als einflussreichste
Gruppe innerhalb der Königsfamilie.
Um ihren Einfluss
bei der Thronnachfolge zu schwächen, glauben viele Beobachter,
hat Abdullah 2006 die 35-köpfige Loyalitätskommission
geschaffen, in der alle Söhne Abdulaziz', sowie jeweils ein
Nachfolger der Häuser der verstorbenen Söhne vertreten
sind. Die Kommission kann Kandidaten wegen ihres fragilen
Gesundheitszustandes disqualifizieren.
Dass Naif jedoch
2009 zum stellvertretenden Kronprinzen, damit zum potenziellen
Thronnachfolger und 2011 schließlich zum Kronprinzen ernannt
wurde, sahen manche als Zeichen, dass die Sudairis die Oberhand
gewonnen haben. Seit dem Sommer 2012 ist Prinz Salman Kronprinz.
All das sind
Zeichen des Gerangels in der Königsfamilie, das hinter den
Kulissen um die Thronfolge stattfindet. Ist es ein wohlausgewogenes
Gleichgewicht, das Abdullah geschaffen hat, oder ein lähmender
Patt?
Das ist schwer zu
sagen. Minister von ihren Positionen entfernen, kann der König
nur schwer. Vor seiner Rede im Staatsfernsehen im März 2011
meldeten zwei angesehene Nachrichtenagenturen, der König werde
eine Kabinettsumbildung ankündigen. Sie stützten sich
dabei auf westliche Diplomaten. Aber dazu kam es nicht, denn das
hätte offenbar das empfindliche Gleichgewicht innerhalb der
Königsfamilie gestört.
Nachdem Sultan 2011
und Naif 2012 einen natürlichen Abgang gemacht haben, wurde
Salman Verteidigungsminister und Prinz Naifs Sohn Mohammed
Innenminister. Der letzte hatte schon unter seinem Vater die
Geschäfte geführt. Im Februar 2012 wurde der langjährige
Geheimdienst-Chef Prinz Muqrin zum stellvertretenden
Ministerpräsidenten ernannt. Der Posten gilt als Sprungbrett
für die Position des Kronprinzen. Ein Generationswechsel sieht
anders aus.
Zwar scheint das
Rennen um die Thronnachfolge vorerst entschieden, aber die Übergabe
der Verantwortung an die nächste Generation wurde verschoben.
Wenn nicht doch noch irgendwann das frische Lüftchen des
„Arabischen Frühling“ nach Saudi Arabien weht,
bleibt also nur eines sicher: Die Al Saud werden solange regieren,
bis sie mit den Füßen nach vorne aus dem Kabinett
getragen werden.
WARUM IM KÖNIGREICH DER FRÜHLING AUSBLIEB
Abdulaziz (um seine
Identität zu schützen, nenne ich nur seinen Vornamen) saß
in meiner Englisch-Klasse stets in der ersten Reihe. Er war ein
guter, aufmerksamer Student, meldete sich, auch wenn ich keine Frage
stellte, machte seine Hausaufgaben und kam sogar zum Unterricht,
wenn er einmal erkältet war.
Er hatte ein fein
geschnittenes Profil, wie man es von alten babylonischen oder
persischen Reliefs kennt, mit dunklen Augen und einer etwas
prominenten Nase.
Wie die anderen
Studenten studierte Abdulaziz im ersten Jahr an der
naturwissenschaftlichen Fakultät der Al Imam Universität
in Riad. Wie die anderen Studenten war er einundzwanzig Jahre alt
und mochte Fußball.
Die Beine von
Abdulaziz'
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