Im Krebsgang
zum
Vater gehabt. Aber auch ich, der Vaterlose, bin schließlich Vater
geworden.
Was wird er geraucht haben? Juno, die
sprichwörtlich runde Zigarette? Oder flache Orient?
Womöglich, der Mode folgend, solche mit Goldmundstück? Es
gibt von ihm als Raucher kein Foto außer einer späten
Zeitungsabbildung, die ihn Ende der sechziger Jahre während des
endlich erlaubten Kurzaufenthaltes in der Schweiz mit Glimmstengel als
älteren Herren vorstellt, der seine Beamtenkarriere bald hinter
sich haben wird. Jedenfalls hat er, wie ich, pausenlos gepafft und
deshalb in einem Raucherabteil der Schweizerischen Bundesbahn Platz
genommen.
Beide reisten per Bahn. Um die Zeit, als David
Frankfurter von Bern nach Davos unterwegs war, befand sich Wilhelm
Gustloff auf Organisationsreise. In deren Verlauf hat er mehrere
Ortsgruppen der Auslands-NSDAP besucht und neue Stützpunkte der
Hitlerjugend und des Bundes Deutscher Mädel, kurz BDM,
gegründet. Weil seine Reise Ende Januar ihren Weg nahm, wird er in
Bern und Zürich, Glarus und Zug vor Reichsdeutschen und
Österreichern zum dritten Jahrestag der Machtergreifung eine
jeweils mitreißende Rede gehalten haben. Da ihm bereits im
Vorjahr von seinem Arbeitgeber, dem Observatorium, auf drängendes
Verlangen sozialdemokratischer Abgeordneter gekündigt worden war,
konnte er über seine Zeit frei verfügen. Zwar gab es, der
agitatorischen Aktivitäten wegen, immer wieder innerschweizer
Proteste - in linken Zeitungen hieß er »Der Diktator von
Davos«, und der Nationalrat Bringolf forderte seine Ausweisung -,
aber im Kanton Graubünden wie im gesamten Bund fand er
genügend Politiker und Beamte, die ihn nicht nur finanziell
stützten. Von der Kurverwaltung Davos wurden ihm
regelmäßig die Namenslisten angereister Kurgäste
zugespielt, worauf er die Reichsdeutschen unter ihnen, solange die Kur
lief, zu Parteiveranstaltungen nicht etwa nur einlud, sondern
aufforderte; unentschuldigtes Nichterscheinen wurde namentlich vermerkt
und den zuständigen Stellen im Reich gemeldet.
Um die Zeit der Eisenbahnreise des rauchenden
Studenten, der in Bern eine einfache, keine Hin- und Rückfahrkarte
verlangt hatte, und während sich der spätere Blutzeuge im
Dienst seiner Partei bewährte, hatte der Schiffsmaat Alexander
Marinesko bereits von der Handelsmarine zur Schwarzmeer-Rotbannerflotte
gewechselt, in deren Lehrdivision er an einem Navigationskurs teilnahm
und dann zum U-Bootfahrer ausgebildet wurde. Zugleich war er Mitglied
der Jugendorganisation Komsomol und bewies sich - was er im Dienst
durch Leistung wettmachte - als außerdienstlicher Trinker; an
Bord eines Schiffes hat er niemals die Flasche am Hals gehabt. Bald
wurde Marinesko als Navigationsoffizier einem U-Boot zugeteilt, dem Seh
306 Fische; diese kurz zuvor in Dienst gestellte Schiffseinheit lief
nach Kriegsbeginn, als Marinesko schon an Bord eines anderen U-Bootes
Offizier war, auf eine Mine und sank mit der gesamten Mannschaft.
Von Bern über Zürich, dann an diversen
Seen vorbei. Der Parteigenosse Diewerge hat sich in seiner Schrift, die
den Weg des reisenden Medizinstudenten nachzeichnet, nicht mit
Landschaftsbeschreibungen aufgehalten. Und auch der Kettenraucher im
dreizehnten Semester wird nur wenig von den entgegenkommenden,
schließlich den Horizont verengenden Gebirgszügen
wahrgenommen haben, allenfalls Haus, Baum und Berg deckenden Schnee und
den von Tunneldurchfahrten bestimmten Lichtwechsel.
David Frankfurter reiste am 31. Januar 1936. Er las
Zeitung und rauchte. Unter der Rubrik »Vermischtes« stand
einiges über die Aktivitäten des Landesgruppenleiters
Gustloff zu lesen. Die Tageszeitungen, unter ihnen die »Neue
Zürcher« und die »Basler Nationalzeitung«,
wiesen das Datum aus und berichteten über alles, was gleichzeitig
geschah oder sich als zukünftiges Geschehen ankündigte. Zu
Beginn des Jahres, das als Jahr der Berliner Olympiade in die
Geschichte eingehen sollte, hatte das faschistische Italien das ferne
Reich des Negus, Abessinien, noch nicht besiegt und zeichnete sich in
Spanien Kriegsgefahr ab. Im Reich machte der Bau der Reichsautobahn
Fortschritte, und in Langfuhr zählte Mutter achteinhalb. Zwei
Sommer zuvor war ihr Bruder Konrad, das taubstumme Lockenköpfchen,
beim Baden in der Ostsee ertrunken. Er ist ihr Lieblingsbruder gewesen.
Deshalb mußte sechsundvierzig Jahre nach seinem Tod mein Sohn auf
den Namen Konrad getauft werden; doch wird er allgemein Konny gerufen
und in Briefen von seiner Freundin
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