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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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bei allem, was nebenbei mit Mädchen ablief,
ziemlich gut drauf und nicht einmal knapp bei Kasse, denn Mutter hatte
mir, als ich mit ihrem Segen zum Klassenfeind wechselte, noch eine
andere Westadresse zugesteckt: »Das is dain Vater, nahm ech an.
Is ain Kusäng von mir. Der hat miä, kurz bevor er zum Barras
mußte, dickjemacht.
Jedenfalls globt der das. Schraib ihm mal, wie's dir jeht, wenn de drieben bist...«
    Man soll nicht vergleichen. Doch was das
Pekuniäre betraf, ging es mir bald wie David Frankfurter in Bern,
dem der ferne Vater monatlich ein Sümmchen aufs Schweizer Konto
legte. Mutters Cousin - hab ihn selig - hieß Harry Liebenau, war
Sohn des Tischlermeisters in der einstigen Eisenstraße, lebte
seit Ende der fünfziger Jahre in Baden-Baden und machte als
Kulturredakteur für den Südwestfunk das Nachtprogramm: Lyrik
gegen Mitternacht, wenn nur noch die Schwarzwaldtannen zuhörten.
    Da ich Mutters Schulfreundin nicht dauerhaft auf
der Tasche liegen wollte, habe ich in einem an sich netten Brief,
gleich nach der Schlußfloskel »Dein Dir unbekannter
Sohn«, schön leserlich meine Kontonummer zur Kenntnis
gebracht. Weil offenbar zu gut verheiratet, schrieb er zwar nicht
zurück, hat aber jeden Monat pünktlich weit mehr als den
niedrigsten Alimentesatz berappt, runde zweihundert Märker, was
damals eine Stange Geld gewesen ist. Davon wußte Tante Jenny
nichts, doch will sie Mutters Cousin Harry gekannt haben, wenn auch nur
flüchtig, wie sie mir mit einem Anflug von Röte in ihrem
Puppengesicht mehr gestanden als gesagt hat.
    Anfang siebenundsechzig, bald nachdem ich mich in
der Karlsbader Straße abgeseilt hatte, nach Kreuzberg gezogen
war, darauf mein Studium schmiß und bei Springers
»Morgenpost« als Volontär einstieg, hörte der
Geldsegen auf. Habe danach meinem Zahlvater nie wieder, höchstens
mal eine Weihnachtspostkarte geschrieben, mehr nicht. Warum auch. Auf
Umwegen hatte mir Mutter auf einem Kassiber zu verstehen gegeben:
»Dem mußte nicht groß Dankeschön sagen. Der
weiß schon, wieso er blechen muß...«
    Offen konnte sie mir damals nicht schreiben, weil
sie inzwischen in einem volkseigenen Großbetrieb eine
Tischlereibrigade leitete, die nach Plan Schlafzimmermöbel
produzierte.
Als Genossin durfte sie keine Westkontakte haben, bestimmt nicht mit
ihrem Sohn, der in der kapitalistischen Kampfpresse zuerst kurze, dann
längere Artikel gegen den Mauer- und Stacheldrahtkommunismus
schrieb, was ihr Schwierigkeiten genug gemacht hat.
Nahm an, daß Mutters Cousin nicht mehr zahlen wollte, weil ich,
statt zu studieren, für Springers Hetzblätter geschrieben
habe. Irgendwie hat er ja recht gehabt auf seine scheißliberale
Weise. Bin dann auch bald nach dem Anschlag auf Rudi Dutschke von
Springer weg. War seitdem ziemlich links eingestellt. Habe, weil damals
viel los war, für einen Haufen halbwegs progressiver Blätter
geschrieben und mich ganz gut über Wasser gehalten, auch ohne
dreimal mehr als den niedrigsten Alimentesatz. Dieser Herr Liebenau ist
sowieso nicht mein Vater gewesen. Den hat Mutter nur vorgeschoben. Von
ihr weiß ich, daß der Nachtprogrammredakteur gegen Ende der
Siebziger, noch bevor ich geheiratet habe, an Herzversagen gestorben
ist. War in Mutters Alter, etwas über fünfzig.
Von ihr bekam ich ersatzweise die Vornamen anderer Männer
geliefert, die, wie sie sagte, als Väter in Frage gekommen
wären. Einen, der verschollen ist, soll man Joachim oder Jochen,
einen schon älteren, der angeblich den Hofhund Harras vergiftet
hatte, Walter gerufen haben.
Nein, ich habe keinen richtigen Vater gehabt, nur austauschbare
Phantome. Da waren die drei Helden, die mir jetzt wichtig sein
müssen, besser dran. Jedenfalls hat Mutter selbst nicht
gewußt, wer sie geschwängert hatte, als sie mit ihren Eltern
am Vormittag des 30. Januar fünfundvierzig vom Kai
Gotenhafen-Oxhöft weg als Siebentausendsoundsovielte eingeschifft
wurde. Derjenige, nach dem das Schiff getauft worden war, konnte einen
Kaufmann, Hermann Gustloff, als Vater nachweisen. Und derjenige, dem es
gelang, das überladene Schiff zu versenken, ist in Odessa, weil er
als Junge einer Diebesbande angehörte, die »Blatnye«
geheißen haben soll, vom Vater Marinesko ziemlich oft
verprügelt worden, was eine spürbar väterliche Zuwendung
gewesen sein wird. Und David Frankfurter, der von Bern nach Davos
reisend dafür gesorgt hat, daß das Schiff nach einem
Blutzeugen benannt werden konnte, hat sogar einen richtigen Rabbi

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