Im Kreis der Sünder - Kriminalroman aus dem Ruhrgebiet
Entsetzt registrierte Cornelius Hamacher das viele Blut auf seiner Kleidung. Die weißen Flecken auf seinem Hemd schienen zu schmelzen wie Eisberge in der Sonne. Als plötzlich der Schmerz einsetzte, taumelte Cornelius nach hinten. Während er zu Boden fiel, den Blick auf seinen Peiniger gerichtet, wischte dieser das blutige Schwert an einem Vorhang ab. Es war das Letzte, was Cornelius in dieser Welt sah.
Als Cornelius seinen letzten Atem aushauchte, warf die Gestalt noch einen verächtlichen Blick auf die Leiche und begann, sich umzuziehen. Unter der Kutte war eine Scheide verborgen, in die sie das Schwert steckte. Sie verstaute es zusammen mit der Verkleidung in eine Tasche, aus der sie zuvor eine Schirmmütze geholt hatte. Mit zitternden Fingern setzte sie die Kappe auf und zog sie tief in die Stirn. Vorsichtig öffnete sie nun die Tür und spähte hinaus. Weil sie niemanden entdecken konnte, huschte sie aus dem Haus. Eilig lief sie die drei Stufen hinunter, die auf den Weg durch den Vorgarten auf die kaum befahrene Straße führten. Der Lichtschein der nächsten Laterne erhellte nur unvollständig das halb verdeckte Gesicht.
Mittwoch, 11. Mai 14:30 Uhr
Gedankenverloren starrte Sina Gabrillani aus dem Fenster ihres Büros. Drei Etagen unter ihr donnerte ein nicht enden wollender Verkehrsstrom vorbei. Obwohl das Fenster geöffnet war, nahm sie den Lärm nicht einmal ansatzweise wahr. Im Geiste weilte sie tief in der Vergangenheit. Ein Rückblick, den sie sich sonst kaum gestattete. Sie hatte Angst, von dem Schmerz überwältigt zu wer den. Schließlich erwartete man von ihr, dass sie funktionierte, allen voran ihr Chef. Heute jedoch würde sie sich nicht mehr auf den Geschäftsbericht konzentrieren können, dazu war sie einfach zu aufgewühlt. Zu viel war geschehen in den letzten Stunden.
»Bitte vereinbaren Sie mit Müller und Kluge einen Termin für morgen Nachmittag«, fuhr Herr Sörensen, der unbemerkt eingetreten war, in ihre Gedanken. »Aber erst nach fünfzehn Uhr. Sie wissen ja, vorher sitze ich wegen der Präsentation noch mit Ottakring zusammen.«
Sina Gabrillani drehte sich um. Für einen kurzen Moment starrten ihre hübschen blaugrünen Augen den Chef abwesend an. Langsam kehrte sie in die Gegenwart zurück. Schließlich nickte sie, strich sich eine Strähne ihrer blonden halblangen Haare aus der Stirn und löste sich ruckartig vom Fenster. Ihr schlanker, dennoch muskulöser Körper schien sich zu straffen. Mit drei energischen Schritten saß sie wieder an ihrem Arbeitsplatz. Reiß dich zusammen, hämmerte es hinter ihrer hohen Stirn. Noch vier, fünf Stunden in diesem Büro, dann würde sie ihren Emotionen endlich freien Lauf lassen können — oder besser — sie heute Abend im Karateverein in geordnete Bahnen lenken.
Donnerstag, 12. Mai 15:00 Uhr
Noble Wohngegend, dachte Hauptkommissar Willibald Pielkötter, während er auf das Eingangsportal der Villa zulief, deren Grundstück an den Wambachsee grenzte.
»Sind alle schon drin«, begrüßte ihn ein junger Polizist in Uniform.
Pielkötter brummte irgendetwas Unverständliches. Mit »alle« waren wahrscheinlich Spurensicherung und Rechtsmedizin gemeint und natürlich Kommissar Bernhard Barnowski. Sein Untergebener stand in der Diele, die mit echten Perserteppichen ausgelegt war, und unterhielt sich mit Karl-Heinz Tiefenbach von der Rechtsmedizin.
Viel unterschiedlicher hätte das unfreiwillige Gespann Pielkötter und Barnowski kaum sein können, nicht nur rein äußerlich. Pielkötters leicht untersetzter Körper und sein Gesicht mit schiefer Nase schienen Barnowskis Attraktivität noch zu unterstreichen. Dessen volles schwarzes Haar und der spöttische Blick wirkten auf Frauen jeden Alters ebenso wie der schlanke, durchtrainierte Körper. Im Gegensatz zu Pielkötters gewissenhafter Manier versah Barnowski seinen Dienst manchmal in einer etwas zu flapsigen Art, zumindest fand das sein Vorgesetzter.
»Überstunden abzufeiern, ist wohl nicht Ihr Ding«, bemerkte Barnowski, als Pielkötter näherkam.
»Hatte mir den Nachmittag tatsächlich anders vorgestellt«, erwiderte Pielkötter ärgerlich. »Aber Tote nehmen darauf einfach keine Rücksicht. Übrigens, können Sie schon etwas über die Tatzeit sagen?«
»Unser Mann ist etwa anderthalb Tage tot«, schaltete sich nun Karl-Heinz Tiefenbach von der Rechtsmedizin ein.
»Also seit vorgestern spätabends?«
»Ja, um diesen Dreh herum. Bei dem Toten handelt es sich aller
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